Réka Juhász
Predigtreihe “Die Jünger Jesu”
Teil IV: Die Zeloten
Johannes 14, 27
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen
“Frieden lasse ich euch zurück, meinen Frieden gebe ich euch.
Nicht einen Frieden, wie die Welt gibt, gebe ich euch.
Euer Herz erschrecke nicht und verzage nicht!“
Johannes 14,27
„Wir könnten alle ab sofort den Weltfrieden genießen, wir müssen es nur wollen.“ – So formulierte einmal der Rabbi der Frankfurter Gemeinde in einer Fernsehdoku zum Thema „Religionen und Gewalt“.
Ja, wir könnten den Welthunger besiegen, wir könnten Klimaziele erreichen, wir könnten eine funktionierende Gesellschaft leben, in der alle gerecht und wertschätzend behandelt werden könnten. Wir könnten. Liegt es wirklich nur am Wollen?
Anhand dessen, wieviel Wissen, wieviel Erfahrung, aber auch wieviel Leiderfahrung unsere Menschheit besitzt, sollte es der Generation am Anfang des 21. Jahrhunderts doch viel besser ergehen als den Menschen vor zB. 100 Jahren oder sogar 2000 Jahren.
“… die Welt ist alt; Missetat und Missgestalt sind in ihr gemeine Plagen.” – Die Worte des Lieddichters Rudolf Alexander Schröder sind bereits 90 Jahre alt, klingen aber immer noch sehr aktuell
EG 378
Was sollen wir denn tun, dafür, dass die Welt ihr Gleichgewicht wieder findet?
Diese ewige Frage muss jede Generation für sich stellen.
Ein allgemeines Rezept haben anscheinend auch die Religionen nicht – oder sie hätten es vielleicht, aber ihre Grundsätze werden immer wieder missverstanden oder nur halb verstanden.
Es liegt also am Menschen. Daran, ob er bereit ist, und vor allem, ob er fähig ist, umsichtig zu handeln. Nicht aus Hass und nicht aus Angst und nicht aus Vergeltung.
Dieses legte Jesus seinen Jüngern und besonders den Zeloten in seinem Jüngerkreis ans Herz. Ich möchte heute meine Predigtreihe über die Jünger Jesu fortsetzen und die Gruppe der Zeloten – mit Ihnen gemeinsam – näher anschauen.
Heute geht es also nicht nur um einen, sondern gleich um vier Jünger Jesu. Um Jünger und um ihre Vorstellung darüber, welchen Frieden ihnen Jesus versprochen hatte.
Denn vier von seinen zwölf Jüngern gehörten der radikalen politischen Gruppe der Zeloten an: Judas Thaddäus, Simon der Kanaaniter, Judas Iskariotes und nach einer Theorie auch Jakobus, der Sohn des Alphäus.
Die Zeloten bildeten eine radikale politische Gruppierung. Man nannte sie auch Sikarier, nach dem geschwungenen, kurzen Schwert, das sie immer bei sich trugen. Sie waren geprägt von Patriotismus und von Hass gegen die römische Besatzungsmacht. Sie waren jederzeit bereit für den „heiligen Krieg“ für ihr Heimatland. Ihre Wut und ihren Hass richteten sie aber nicht nur gegen die Römer, sondern auch gegen jeden ihrer Landsleute, der in irgendeiner Art und Weise die Zusammenarbeit mit den Römern suchte.
Einer dieser Jünger war Simon (Mt 10,4). Er stammte vermutlich aus Kanaa. Einige Bibelwissenschaftler vermuten, dass die Hochzeit von Kanaa, wo Jesus sein erstes Wunder tat und das Wasser in Wein verwandelte, seine Hochzeit war. Simon selbst soll der Bräutigam gewesen zu sein.
Übrigens: Kanaa liegt im Norden, in Galiläa. Die Zeloten waren hier am stärksten vertreten. Wegen der Unzufriedenheit der Juden war die politische Lage im Norden, in Galiläa, sehr angespannt, worauf auch Lukas in der Apostelgeschichte hinweist (Acta 5,37).
Die politische Lage im historischen Palästina war einem schlafenden aber im Inneren brodelnden Vulkan ähnlich, der die Gefahr des Ausbruchs in sich trug.
Der jüdische Machthaber und seine Klientkönige in Zeiten Jesu suchten die Zusammenarbeit mit den Römern. Für den Scheinfrieden bekamen sie Privilegien von den Römern. Ein Dorn im Auge der jüdischen Bevölkerung. Palästina in Zeiten von Jesus war gekennzeichnet von Aufständen und Aggression gegen die römische Besatzung.
Eine zusammenfassende Information fand ich auf der ORF-Webseite:
“Verschiedene Propheten verhießen Gotteswunder als Zeichen einer bevorstehenden politischen Wende. Solche Umtriebe waren den Römern stets verdächtig und häufig beendeten sie die Aufmärsche der Gurus und ihrer Anhänger mit einem abschreckenden Blutbad.
Im Jahr 6 n. Chr. unterstellte Quirinius, Statthalter von Syrien, Judäa der direkten römischen Verwaltung, was einer definitiven Annexion gleichkam, und ordnete eine Volkszählung an, um die Steuereintreibung zu organisieren.“
https://religion.orf.at/v3/lexikon/stories/2602836/
Die Sikarier verweigerten sogar die Steuerzahlung an die Römer. Ihre Ansichten diesbezüglich brachten sie einmal auch vor Jesus. Geleitet von der Theologie, dass die Erde Gott gehört, waren sie der festen Meinung, dass man allein Gott verpflichtet ist, Steuern zu zahlen.
Jesus zeigte ihnen eine römische Münze mit dem Bild des Kaisers und wies daraufhin: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“
Mt 22, 21
“Die Zeloten hatten nichts zu verlieren, organisierten Terrorüberfälle und machten sogar Jerusalem unsicher: Sikarier (Dolchmänner) mordeten wahllos im Gedränge der Wallfahrten, wo sie sofort in der Menge untertauchen konnten.”
ebd.
Ein Zelot im Jüngerkreis war auch Judas, der Iskariot – dieser Beiname wies auch daraufhin, dass er ebenso Zelot war und somit auch ein Jünger mit radikalen politischen Ansichten.
Sein Verrat wird bei vielen biblischen Exegeten mit seinem Zelot-Sein in Verbindung gebracht.
Judas, enttäuscht vom friedlichen Einzug in Jerusalem, wollte Jesus vermutlich dazu zwingen, dass er sich endlich öffentlich zum Widerstand bekennt und über die Römer siegt. Denn Judas hat viele Wunder erlebt: Wie Jesus den stürmischen See stillte oder als er in Nazareth nach seiner berühmten Rede in der Synagoge seinen wütenden Angreifern entkommen ist – sie wollten Jesus vom Berg hinunterstürzen – und noch vieles mehr; viele Aussagen Jesu darüber, dass durch ihn das Reich Gottes mitten unter ihnen sei (Lk 4, 30).
Doch seine Pläne für einen siegreichen Kampf scheiterten. Jesus leistete keinen Widerstand, keinen politischen Widerstand und er heilte sogar das Ohr des von Petrus verletzten römischen Soldaten. Jesus ließ sich festnehmen und töten.
Der Kern der Tragödie von Judas besteht darin, dass er bis zum Verrat ein falsches Jesus-Bild hatte. Er wollte Jesus seinen eigenen Vorstellungen anpassen. Er war so fest verankert in diesem seinen Jesus-Bild, dass er sich durch Jesus nicht formen, nicht wandeln ließ. Judas wurde Opfer seiner eigenen Ideologie und seiner eigenen Vorstellungen. Als er dies erkannte, war es viel zu spät. Jesus war bereits tot und Judas konnte all dies nicht verkraften.
Ein weiterer Zelot in dem Jüngerkreis war Taddäus. (Sein weiterer Name war auch Judas.) Ein einziges Mal kommt er zu Wort, im Johannes-Evangelium, in der Stelle, die wir als Lesung gehört haben.
Judas – nicht der Iskariot – sagt zu ihm: Herr, und wie kommt es, dass du dich uns und nicht der Welt offenbaren willst?
Jesus entgegnete ihm: Wer mich liebt, wird mein Wort bewahren, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und uns bei ihm eine Bleibe schaffen.
Johannes 14, 22 und 23
Was bedeutet diese Frage? Worauf will Taddäus hinweisen? Spricht er hier nicht das gleiche Jesus-Bild an, wie Judas Iskariot?
Als würde er Jesus dazu drängen, dass er endlich kristallklar der Welt seine Macht zeigt, das, wozu er gekommen ist. Im Auge der Zeloten war Jesus gekommen, um einen politischen Sieg zu ernten über die Römer, über die Unterdrücker.
In dieser Antwort an Taddäus stellt Jesus klar, wozu er gekommen ist: Er will nicht die Welt beherrschen, sondern die Herzen der Menschen.
Und ein vierter in der Reihe der Zeloten war – nach einer Theorie von Bibelwissenschaftlern – Jakobus, der Sohn des Alphäus. Unter Anderen der ungarische Neutestamentler Dr. Pál Sarkadi Nagy zählte ihn zu den Zeloten.
Die einzige Information, die wir über diesen Jünger haben, ist, dass er der Sohn des Alphäus war. Weder seine Berufungsgeschichte noch seine Tätigkeiten als Missionar sind uns bekannt. Er, sein Leben, sein Jünger-Sein, seine Treue, einfach nur, dass er dabei ist als Jünger Jesu zählt. Es gibt seine Person betreffend viele Vermutungen. In der katholischen Tradition wird er als der Bruder von Jesus bezeichnet.
Als Sohn von Alphäus war er vermutlich der Bruder von Matthäus. Matthäus wir allerdings bei seiner Berufungsgeschichte als “Levi” benannt. Er war ein Jünger Jesu (und vermutlicher Autor des Matthäus-Evangeliums), den Jesus am Zoll anspricht und vom Zoll weg in seine Nachfolge beruft. Vor der Berufung von Matthäus (bzw. Levi) dem Zöllner zählte Jakobus noch nicht zum Jüngerkreis. Kam Jakobus vielleicht durch seinen Bruder zu Jesus?
Die Vermutung, dass er zum Kreis der Zeloten zählte, basiert darauf, dass sein Name bei der Auflistung der Jünger Jesu gemeinsam mit den Zeloten vorkommt.
Der Zwölferkreis um Jesu herum war anscheinend kein einfacher Kreis.
Jünger mit radikalen politischen Ansichten im engsten Jüngerkreis Jesu?
Veränderte sich ihre Sichtweise durch die Botschaft Jesu wirklich?
Und eine weitere interessante Frage: Wie haben sie sich mit den Zöllnern vertragen, mit jenen Jüngern, die die Zusammenarbeit mit den Römern nicht grundsätzlich abgelehnt haben?
Zeloten und Zöllner – wie war da Frieden im Jüngerkreis möglich?
Liebe Gemeinde,
die Zeloten mussten aus ihren Träumen von einer politischen Machtübernahme durch Jesus aufwachen und sich der Realität stellen. Durch Jesus ist kein Friede, kein Weltfriede auf die Erde gekommen. Und dies ist auch immer wieder die bittere Erfahrung von uns Menschen. Die Religion / die Religionen allein sind auch keine Garantie für den Frieden und keine Garantie dafür, dass Missverständnisse ein für allemal geklärt werden können.
Wodurch kann dennoch in uns die Hoffnung auf den Frieden, auf den Weltfrieden weiterhin lebendig bleiben?
Jesus kann seinen Frieden nicht der Welt geben, aber er schenkt ihn Jedem und Jeder, die an ihn, an sein Leben und Werk, an seine Botschaft und an seine zielführenden Wegweisungen glauben. Im Glauben haben wir einen „Frieden mit Gott“ – und eine Macht, die uns nicht kapitulieren lässt vor dem Schrecken und der Angst der Welt.
Jesus lieben heißt in diesem Sinne: Festhalten an seinem Wort, an seiner Botschaft. Daran, dass diese Worte und Beispiele keine leeren Worte sind. Gott kann dort in uns Wohnung nehmen, wo seine Gebote – im Sinne Jesu – gehalten werden, wo sein lebendiges Wort erzählt und aufgenommen wird.
Für die ersten Christen war diese Botschaft eine lebendige Erfahrung.
Aber auch für Taddäus – außerbiblische Quellen (Eusebius von Caesarea) erzählen davon, dass er auf die Einladung des Königs Abgar, König von Osroene (im nördlichen Mesopotamien, heute Syrien und Südtürkei) in die Hauptstadt Edessa kam und den kranken König heilte. Der Zelot Taddäus wurde Missionar und ein Botschafter des Friedens Gottes.
Simon wirkte – nach der altkirchlichen Überlieferung – in Ägypten und in Afrika, starb als Märtyrer.
Die Pfingstgeschichte erzählt: Sie waren alle mit einem Willen zusammen.
Die unterschiedlichen Charaktere um Jesus herum bildeten dennoch eine Einheit in der versöhnten und tragbaren Verschiedenheit, vereint im Glauben an Christus.
Jesus verspricht seinen Frieden. Der Friede, der Schalom ist in seinem Sinne mehr als menschliche Ruhe und Wohlbefinden, mehr als Seelenfriede.
Vielmehr geht es hier um eine Zusage an die Jünger – und darüber hinaus an die Gemeinde, die Angst hat vor der Zukunft (Hermann Ries: Predigtstudien 1979, S. 84).
Der Friede Gottes, den Jesus hier seinen Jüngern und seiner Gemeinde verspricht, gewinnt Gestalt in der Gelassenheit, dass Angst und Tod nicht das letzte Wort über die Welt haben.
Dieser Friede ist MUT – er schaut in das Gesicht der Angst, er deckt ihre Gründe auf und schaut nicht nur auf das eigene, sondern sieht auch das Leid der Anderen. Mut zum Mit-Leid und zum Miteinander-Leiden (ebd. S. 89).
Dieser Friede ist aber vor allem Vertrauen. Vertrauen auf Gottes Wort, Vertrauen auf seine Gemeinschaft stiftende Gegenwart und Vertrauen auf seine Kraft, die uns fähig macht, offen zu bleiben füreinander und für die Zukunft, die noch vor uns liegt.
Amen