Harald Kluge: “Long lebm und gsund bleibm” Hebräer 12, 9-19
Audiogottesdienst unter https://youtu.be/oPu5YHociiI
9 Außerdem: Haben wir nicht unsere leiblichen Väter geachtet, die uns auch gestraft haben? Wie viel mehr müssten wir dann die Erziehung unseres göttlichen Vaters annehmen, der uns ja auf das ewige Leben vorbereitet. 10 Unsere leiblichen Väter haben uns eine bestimmte Zeit nach bestem Wissen und Gewissen erzogen. Gott aber weiß wirklich, was zu unserem Besten dient. Denn wir sind seine Kinder und sollen ganz zu ihm gehören. 11 Natürlich freut sich niemand darüber, wenn er gestraft wird; denn Strafe tut weh. Aber später zeigt sich, wozu das alles gut war. Wer nämlich auf diese Weise Ausdauer gelernt hat, der tut, was Gott gefällt, und ist von seinem Frieden erfüllt. 12 Darum heißt es: »Stärkt die kraftlosen Hände! Lasst die zitternden Knie wieder fest werden!«
13 Bleibt auf dem geraden Weg, damit die Schwachen nicht fallen, sondern neuen Mut fassen und wieder gesund werden. 14 Setzt alles daran, mit jedem Menschen Frieden zu haben und so zu leben, wie es Gott gefällt. Sonst werdet ihr den Herrn niemals sehen. 15 Achtet darauf, dass niemand an Gottes Gnade gleichgültig vorübergeht, damit sich das Böse nicht bei euch breitmacht und die ganze Gemeinde vergiftet.16 Keiner von euch soll ein unmoralisches Leben führen wie Esau, der Gott den Rücken gekehrt hatte. Für ein Linsengericht verschleuderte er das Vorrecht, als ältester Sohn das Erbe und den besonderen Segen seines Vaters zu erhalten. 17 Später wollte er alles wieder rückgängig machen und flehte seinen Vater unter Tränen um diesen Segen an. Doch da war es zu spät.
18 Ihr habt noch Größeres erlebt als damals die Israeliten. Der Berg Sinai, zu dem sie gekommen waren, war ein irdischer Berg. Sie sahen ihn im Feuer lodern, als Mose von Gott die Gebote erhielt. Dann wurde es finster wie in der Nacht, ein Sturm brach los, 19 und nach einem lauten Fanfarenstoß hörten die Israeliten eine mächtige Stimme wie das Rollen des Donners. Erschrocken bat das Volk, diese Stimme nicht länger hören zu müssen.
Hebräer 12, 9-19
Liebe Gemeinde!
In Kärnten gibt‘s einen tollen Brauch. Da wünscht man sich am 28. Dezember kurz vorm neuen Jahr:
„Schipp Schapp frisch und gsund,
lång lebn, gsund bleibn, und a glücklichs neigs Joa,
nit klunzn nit klågn, bis i wieda kum schlågn!“
Die Kärntner pflegen noch das Schappen, einen Brauch, der leider immer mehr in Vergessenheit gerät. Beim Schappen schlagen die Kinder den Erwachsenen mit einem Ast vom Christbaum oder sonst einer Rute auf den Hintern. Das ist a Spaß und a Hetz aber hat eigentlich einen schrecklichen geschichtlichen Hintergrund. Wenige Tage nach Christi Geburt und drei Tage vorm Silvesterabend feiert die christliche Kirche den Tag der unschuldigen Kinder. Und das tut sie schon seit 1.400 Jahren. Anlass ist die grausame Geschichte vom Kindermord zu Bethlehem. Einige Astrologen aus Persien sind ja laut dem Bericht des Matthäus den Sternen zum Geburtsort von Jesus gefolgt. Sie haben den „König der Könige“, den Friedenskönig erwartet. Deshalb sind sie am Königshof des Herodes gelandet, weil ja der wohl am besten wissen sollte, wo ein Königskind geboren wird. Und wie Sie, liebe Zuhörerschaft, wissen, hatte König Herodes vor, dieses laut Sterndeutern neugeborene „Königskind“ mundtot zu machen, bevor es noch sprechen lernt. Dazu gibt Herodes den schrecklichen Befehl, alle männlichen Babys jüdischer Familien in Bethlehem zu ermorden. Aber Jesus überlebt gottlob, weil ein Engel Maria und Josef zuredet, doch nach Ägypten zu flüchten.
Am 28. Dezember gedenkt man dieser furchtbaren Erzählung. Und in Kärnten dürfen Kinder darum den Erwachsenen, Mama und Papa und Onkel und Tanten und Omas und Opas und Nachbarn und allen im Ort, ein paar Schläge auf den Allerwertesten verpassen. Für dieses „Züchtigungsritual“ erhalten sie dann Süßigkeiten oder ein paar Euromünzen. Einmal im Jahr dürfen die Kinder unterm Schutzmantel dieses urigen Rituals sich den Spaß machen und es den Erwachsenen ein bisserl zeigen. Bisher hab ich keine Schülerin und keinen Schüler kennengelernt, die und der nicht dafür wäre, das Schappen bei uns einzuführen.
Niemand freut sich darüber, wenn er gestraft wird. Das lesen wir beim Hebräerbrief. Strafe tut weh! Und klar, die Erziehung sieht man meist als etwas, das die Älteren den Jüngeren angedeihen lassen bzw. antun.
„Haben wir nicht unsere leiblichen Eltern geachtet, die uns auch gestraft haben?“, fragt sich der Briefeschreiber. Strafen hat heute ja glücklicherweise einen eher schalen und schlechten Beigeschmack. Körperliche Züchtigung, psychische Erpressung und Gewalt von Seiten der Eltern sind absolut verboten. Und wenn es im Brief heißt, dass uns die Erziehung aufs Leben vorbereiten soll, und uns daher die göttliche Erziehung aufs ewige Leben hin führen soll, dann darf ich nicht vergessen: Zur Erziehung braucht es keinen Strafkatalog. Klare Ansagen, ja. Klare Regeln, ja. Ein Standardsatz lautet dazu: „Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir!“ Und weitergedacht könnte ich sagen: „Nicht fürs Leben, sondern fürs ewige Leben lerne ich, lebe ich.“
Später soll sich zeigen, wozu es gut gewesen ist. Und oft sind wir ja im fortschreitenden Alter im Rückblick schlauer. Ob die Erziehungsstrategie der Eltern gelungen war, ob sie mich zu einem frei denkenden, eher angstbefreiten, selbstständigen Menschen hat werden lassen oder nicht, das können wir nur im Rückblick erkennen. Und das Schönste ist bestimmt, wenn ich mit Blick auf meine Kindheit und Jugendzeit diese vom Briefeschreiber angesprochenen positiven Gefühle habe. „Wer auf diese Weise Ausdauer erlernt hat, der tut, was Gott gefällt – ganz automatisch, freiwillig, zwanglos, aus einem inneren Antrieb heraus – und dieser Mensch ist, wenn es ganz gut gelaufen ist, von seinem Frieden erfüllt. Gesegnet ist, glücklich und dankbar sein kann, wer so auf seine Kindheit zurückschauen kann. Denn mich kann genauso gut auch der Schrecken packen, wenn ich an die Kindheit denke. Manche haben schreckliche Erfahrungen gemacht, schlimme Erlebnisse durchgemacht, die wir dann unser Leben lang mit uns schleppen.
Nicht ohne Grund folgt hier im Brief gleich auf diesen Hinweis, auf die eigene Kindheit zurückzublicken, der Ratschlag:
„Stärkt die kraftlosen Hände!
Lasst die zitternden Knie wieder fest werden!“
Einmal im Jahr können die Kinder den Erwachsenen beim Schappen die Meinung sinnbildlich einbläuen. Esoterikerinnen meinen zwar, die Rute sei dazu da, die energetischen Kräfte des Baumstücks auf den Menschen zu übertragen und die nadelbesetzten Stöcke aktivieren wie Akupunkturnadeln die Energielinien. Mir gefällt die Interpretation mit dem jedenfalls pädagogischen Anspruch besser. Wofür hätten heute Eltern, Erwachsene „Schläge“, pädagogische Rutenschläge verdient? Worauf muss man Erwachsene hinweisen, dass sie sich doch ändern sollten?
Wir alle wissen als Erwachsene, dass unser Verhalten nicht immer zu 100% den Ansprüchen unserer schönen neuen Welt entspricht. Die Moralkeulen in Hinsicht auf Klimawandel, Energieverbrauch, Mobilität, Nahrungsmittelverbrauch, Konsumverhalten … bei allem, was ich tu, kann ich ein schlechtes Gewissen bekommen. Muss ich aber nicht. Nur kann die Erinnerung unserer Kinder und Enkelkinder und Urenkelkinder und weiter gedacht aller folgenden Generationen mich dazu bringen, etwas ernsthafter durch das Leben zu gehen. Es ist nicht wurscht, wie ich lebe und welchem Lebensstil ich fröne. Und es ist schon gar nicht egal, dass wir noch viel mehr tun müssen, damit es nicht immer mehr „unschuldige Kinder“ gibt, an die man am 28. Dezember denken sollte.
Ob Kinder im Krieg – ihnen muss geholfen werden, Kinder von Armut und Hungersnot betroffen – ihnen muss geholfen werden. Kinder in psychischen Ausnahmesituationen – ihnen muss geholfen werden. Kinder, die vor Raketen, Kampfflugzeugen, bewaffneten Soldatinnen und Soldaten, Panzern und Kugeln fliehen – ihnen muss geholfen werden. Nicht nur am Tag der unschuldigen Kinder ist es angesagt, an die Situation der Kinder zu denken. „Bleibt auf dem guten Weg, damit die Schwachen nicht fallen, sondern neuen Mut fassen und wieder gesund werden! Setzt alles daran, dass ihr mit den Mitmenschen in Frieden lebt.“
Wir wissen durch Studien, Umfragen, Untersuchungen und Analysen, woran es bei der Situation von Kindern und Jugendlichen heute aktuell am meisten krankt. Sie brauchen Mut, benötigen gesundes Essen, ein Gesundheitssystem, das allen zugutekommt. Und es ist ein dringendes Problem, dass auch hier in Österreich Kinder und Jugendliche Notschlafstellen benötigen und es immer mehr werden, die ab 14 Jahren keine Unterkunft, kein Obdach, kein sicheres Zuhause haben. So hat die Notschlafstelle der Caritas a_way im letzten Jahr 480 Kindern eine Unterkunft gegeben. Mehr als 5.000 Nächte sind Kinder zwischen 14 und 18 Jahren dort untergekommen. Junge Menschen brauchen Schlafplätze, Wohnungen, und vor allem auch im Übergang zum Erwachsenenalter ein Zuhause. Finnland könnte uns hier ein Vorbild sein, das unter dem Motto Housing First allen Menschen eine Wohnung anbietet. Kinder und Jugendliche sind auch die Schwächsten im fließenden Verkehr. Alle 5 Minuten verunfallt in Österreich ein Kind. Meistens hätte es gereicht, wenn die Autos sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung oder die Straßenverkehrsordnung gehalten hätten. Auch hier können wir Kinder sehr einfach schützen.
Keiner von uns soll ein unmoralisches Leben führen, wie Esau, schreibt hier der Verfasser des Hebräerbriefes. Esau hat aus einer Laune heraus eine falsche Entscheidung getroffen und danach tat es ihm furchtbar leid. Für ein leckeres Linsengericht, sein leibliches Wohl, hat er sein Erbe und den Segen seines Vaters verspielt. Und dann hat es ihm furchtbar leidgetan. Aber es war zu spät. Es hätte ihm geholfen, wenn er zuvor ein wenig nachgedacht hätte. Jona im Bauch des Fisches hat in seinem Gebet auch Reue gezeigt. Gott hatte ihm einen klaren Auftrag gegeben: Geh in die Stadt Ninive und erkläre den Menschen dort, dass sie durch ihr boshaftes und scheußliches Treiben den Zorn Gottes herabrufen. Die Stadt und ihre Bewohnerinnen und Bewohner sind dem Untergang geweiht. Es sei denn, sie hören auf Jona und hören einfach damit auf, weiterhin so garstig zueinander sein.
Ja, es könnte so einfach sein. Ist es aber leider nicht.
Denn Jona fürchtet sich vor dieser großen Aufgabe und nimmt Reißaus. Durch schicksalhafte Umstände landet Jona, der Prophet wider Willen, in den Fluten des Meeres und im Bauch eines Riesenfisches. Dort fleht er Gott an, bittet er Gott um Hilfe, fleht und weint und wimmert. Er schreit und betet und schließlich spuckt ihn der Fisch wieder aus. Jona geht nach Ninive, hält den Menschen dort den Spiegel vor und bringt sie völlig überraschend dazu, ihren Lebensstil zu ändern. Um 180° wendet sich das Geschick und wenden sie ihren Umgang mit ihren Mitmenschen und Tieren. Da und dort braucht es diesen göttlichen Fingerzeig. Es muss kein Fisch sein, der uns verschlingt. Gott spricht auch durch unser Gewissen und das kann mich ganz schön beißen.
Also, wir sollen uns nicht für alle Zeiten kraftlos und verängstigt und eingeschüchtert zu Boden werfen und wimmern, dass alles so schlecht und furchtbar und auch wir dann und wann so schrecklich und furchtbar waren. Und es soll niemand behaupten, nie schrecklich und furchtbar zu anderen und zu sich gewesen zu sein, oder auch auf Gott vergessen zu haben. Manchmal tut so ein Klaps gut. Ein Kind gibt uns den Klaps auf den Hintern und das soll mir sagen: Reiß dich zusammen! Fang an, nachzudenken, was du besser machen, wie du dich bessern könntest, was du für zukünftige Genrationen tun kannst. Wir leben nicht nur für uns allein.
Wir sollen darauf achten, dass niemand an Gottes Gnade gleichgültig vorübergeht. Auch wir selbst sollen nicht verachten und nicht vergessen, dass die größten und wunderbarsten Dinge im Leben uns geschenkt werden. Nicht Diamanten, Brillanten, teure Uhren, Immobilien, Yachten können uns ein erfülltes Leben bescheren. Nichts davon können wir mitnehmen auf die letzte große Reise. Die Gnade, mit der uns Gott beschenkt, findet sich nicht in toten Dingen. Gottes Gnadengeschenke sind erfüllt mit Leben, mit Freude, auch mit Traurigkeit, mit einer Seele und sprühen vor Funken, vor Energie, lachen uns an und treiben uns an.