Harald Kluge: „Zeit zum Staunen“ LUKAS 2, 1-20
Hören können Sie den Gottesdienst auf Audiogottesdienst 24.12. 2023 17 Uhr “Zeit zum Staunen” zu Lukas 2 aus der Reformierten Stadtkirche. (youtube.com)
1 In jener Zeit befahl Kaiser Augustus, alle Bewohner des Römischen Reiches in Steuerlisten einzutragen. 2 Eine solche Volkszählung hatte es noch nie gegeben. Sie wurde durchgeführt, als Quirinius Statthalter in Syrien war. 3 Jeder musste in seine Heimatstadt gehen, um sich dort eintragen zu lassen. 4 So reiste Josef von Nazareth in Galiläa nach Bethlehem in Judäa, der Geburtsstadt von König David. Denn er war ein Nachkomme von David und stammte aus Bethlehem. 5 Josef musste sich dort einschreiben lassen, zusammen mit seiner Verlobten Maria, die ein Kind erwartete. 6 In Bethlehem kam für Maria die Stunde der Geburt. 7 Sie brachte ihr erstes Kind, einen Sohn, zur Welt. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Futterkrippe, denn die Herberge hatte keinen Raum für sie.
8 In dieser Nacht bewachten draußen auf den Feldern vor Bethlehem einige Hirten ihre Herden. 9 Plötzlich trat ein Engel des Herrn zu ihnen, und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie. Die Hirten erschraken sehr, 10 aber der Engel sagte:
»Fürchtet euch nicht! Ich verkünde euch eine Botschaft, die das ganze Volk mit großer Freude erfüllen wird: 11 Heute ist für euch in der Stadt, in der schon David geboren wurde, der versprochene Retter zur Welt gekommen. Es ist Christus, der Herr. 12 Und daran werdet ihr ihn erkennen: Das Kind liegt, in Windeln gewickelt, in einer Futterkrippe!« 13 Auf einmal waren sie von unzähligen Engeln umgeben, die Gott lobten: 14 »Ehre sei Gott im Himmel! Denn er bringt der Welt Frieden und wendet sich den Menschen in Liebe zu.« 15 Nachdem die Engel in den Himmel zurückgekehrt waren, beschlossen die Hirten: »Kommt, wir gehen nach Bethlehem. Wir wollen sehen, was dort geschehen ist und was der Herr uns verkünden ließ.«
16 Sie machten sich sofort auf den Weg und fanden Maria und Josef und das Kind, das in der Futterkrippe lag. 17 Als sie es sahen, erzählten die Hirten, was ihnen der Engel über das Kind gesagt hatte. 18 Und alle, die ihren Bericht hörten, waren darüber sehr erstaunt. 19 Maria aber merkte sich jedes Wort und dachte immer wieder darüber nach. 20 Schließlich kehrten die Hirten zu ihren Herden zurück. Sie lobten Gott und dankten ihm für das, was sie gehört und gesehen hatten. Es war alles so gewesen, wie der Engel es ihnen gesagt hatte.
Lukas 2, 8-20
Liebe Gemeinde!
Die einen schieben und andere werden geschoben. Die einen schieben die Menschen quer durch ihr Reich. Und die anderen werden geschoben. Augustus will wissen, wie viele Menschen er beherrscht, wie viele Männer, Frauen, Kinder, in welchem Alter, und welchen Beruf sie ausüben. Dazu ist dem Kaiser jedes Mittel recht. Und wenn er eine kleine Völkerwanderung auslöst und jemand wie Josef aus Nazareth in seine Geburtsstadt Bethlehem reisen muss. Warum? Weil es ein Kaiser im fernen Rom gesagt hat. Also frag nicht, sondern mach dich auf.
Die Geburtsgeschichte von Jesus wird wie sein Auftreten im Erwachsenenalter immer wieder diese Kluft zwischen jenen, die herrschen und jenen, die beherrscht werden, in Spiel bringen.
Was haben die einfachen Menschen, die normalen hart arbeitenden Menschen jenen entgegenzusetzen, die ihre Raffgier und Machtgier, ihre Geldgier und ihre Herrschsucht ausleben wollen? Die römischen Kaiser ließen Straßen anlegen, Häuser, Viadukte, Aquädukte, Amphitheater bauen. Möglich wurden die Prachtbauten, die goldenen Quartiere der Antike, weil man sie auf dem Rücken der Ärmsten und einfachsten Arbeitskräfte errichtet hatte. Und das mit den Steuergeldern und eroberten Schätzen anderer.
Im Prinzip war es wie heute: zur Vermehrung des eigenen Reichtums machten sie sich die Arbeitskraft anderer zunutze. Dem setzt Gott mit der Geburt von Jesus ein klares Gegenmodell vor. Statt den Reichtum anderer zu mehren, entdecke doch den Reichtum in deinem eigenen Leben. Entfalte und entdecke und entscheide dich. Finde dich, dein eigenes Maß, deine eigenen Vorstellungen und Visionen. Deshalb erreicht die Botschaft vom Kommen des Retters und Befreiers als erste Gruppe eine der am härtesten arbeitenden der damaligen Zeit.
Der funkelnde strahlende Bote Gottes erscheint der Hirtenschar nahe Bethlehem. Männer und Frauen lagern auf den Feldern, passen auf, dass keines der Tiere verlorengeht. Sie beschützen die Schafe und Ziegen vor Raubtieren. Und da gibt es einige: Löwen, Bären, Schakale und Hyänen und Wölfe. Aber auch Räuber und Diebesgesindel mussten sie abwehren. Bei Schlechtwetter heißt es: Zusammenpacken und alle in Sicherheit zu bringen. Es ist wie heute das Hüten der Tiere ein rauer und anstrengender und fordernder Job. Kein Wunder, dass Hirtinnen und Hirten eifrig gesucht werden.
Heute sagt man Tierwirtinnen und Tierwirte oder Herdenmanagerin und Herdenmanager. Bei der Schäferei spricht man von frischer Luft, einem Leben in der Natur und von einer sinnstiftenden Arbeit, nach der man weiß, was man getan hat. Schäfer und Schäferinnen erkennen sofort, ob es ihren Tieren gut geht. Sie kümmern sich verantwortungsvoll um die Schafherde, teilweise in Zusammenarbeit mit Hütehunden. Und der Verdienst kann sich sehen lassen bei EUR 3.000 bis EUR 3.800. In Deutschland und Österreich und in der Schweiz zahlen sie sogar bis zu EUR 250 pro Tag, das sind dann monatlich EUR 7500.
Herden hüten ist auch eine Tätigkeit mit Überraschungen und plötzlichen schwierigen Situationen, die gelöst werden müssen. Die Hirtenschar damals hat sich sehr erschrocken, als dieser leuchtende Bote Gottes bei ihnen auftaucht. »Fürchtet euch nicht! Ich verkünde euch eine Botschaft, die das ganze Volk mit großer Freude erfüllen wird: Heute ist für euch in der Stadt, in der schon David geboren wurde, der versprochene Retter zur Welt gekommen. Es ist Christus, der Herr.“
Normalerweise kommen Engel zu Königen, Propheten, Prophetinnen oder Priestern. Die Geburt Jesu ist in vielerlei Hinsicht anders. Maria und Josef sind einfache Leute, leben in keinem Palast und haben weder Einfluss noch Macht oder ein soziales Netzwerk, auf das sie bauen können. Die Herdenmanager gehören auch nicht zu den auserwählten hoch angesehenen Berufen der damaligen Zeit. Das waren eher die Parias, die Unberührbaren, mit denen man nichts zu tun haben wollte. Und die machen sich auf den Weg zum neugeborenen Jesuskind. Sie tauchen bei Maria und Josef auf. Da wäre es passend, wenn einer der Hirten zu Maria sagt: „Fürchtet euch nicht!“ „Wir führen nichts Böses im Schilde.“
»Euer Sohn bringt der Welt Frieden und wendet sich den Menschen in Liebe zu. Das haben uns die Engel gesungen. Echt wahr. Wir sagen das nicht, weil wir besoffen sind und uns mit warmem Wein gewärmt haben.“ Wer von euch schon einmal bei einer Geburt dabei war, weiß, Maria wird nicht viel mitbekommen haben. Oder sie war euphorisch und erschöpft. Das ist so ein Zustand, der sich schwer beschreiben lässt. Und Josef, der neugebackene Vater, den wird es ähnlich gepackt haben, die Freude am Sohnemann, dem kleinen putzigen Baby. Ein klein wenig wird er sich geschämt haben, verärgert gewesen sein. Da reist er mit der hochschwangeren Maria quer durchs Land und kann nicht einmal eine Herberge auftreiben.
Ihr Kind legen sie in eine Futterkrippe, einen Futtertrog. Modern würden wir sagen: Jesus liegt in einem Fressnapf. Aber vielleicht passt es auch: Denn Jesus wird einmal davon sprechen: „Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.“ Jesus wird zum „Futter“ für uns, zum Seelenfutter für die Träume und zur Projektionsfläche für die Wünsche des einfachen Volkes, der Menschen wie du und ich. „Esst euch an mir satt!“ Das meint dann so viel wie, nichts auf die Versprechungen anderer Heilsangebote und falscher verführerischer Glaubensangebote zu geben. Jesus gibt es gratis. Für den Glauben an Gott, Vater, Sohn, Heiliger Geist, muss man nichts bezahlen, darf man nichts bezahlen müssen.
Die Hirtinnen und Hirten haben ihre Herden zurückgelassen. Vielleicht haben sie ein paar Jungtiere mitgenommen, auf die sie besonders Acht geben mussten. Ansonsten heißt es ja, sie kehren später zu ihren Herden zurück. Womöglich haben sie sich gedacht, dass die himmlischen Heerscharen schon ein Auge auf ihre Herden haben werden, solange sie dem neugeborenen Retter der Welt huldigen. Sie waren extrem neugierig. Und seien wir einmal ehrlich: Wer wäre das nicht? Wer würde nicht dieses Kind sehen wollen, die Eltern treffen, ein meet and greet mit dem Messias und Heiland. Da treten die sonstigen wichtigen Dinge in den Hintergrund.
Wie ich neulich in einer U-Bahnzeitung gelesen habe: „Weihnachten ist die Zeit für wahre Werte.“ Gut, dann stand in der Zeitung am Cover: „Es ist die Zeit für Gold.“ Und zuerst hatte ich mich verlesen und gedacht das steht: „Weihnachten – Zeit für wahre Werte. Zeit für Golf.“ Gold oder Golf, beides passt nicht so wirklich zur Weihnachtsszene. Auch wenn zu Weihnachten oft Gold (weil nachhaltige Anlage) verschenkt wird und manche mit einem Special Xmas-Golfpackage in einem Golfresort feiern. Also nicht hier bei uns in Österreich, aber in Abu Dhabi, Teneriffa, Marokko. Zeit für wahre Werte. Die Jugendlichen unserer Gemeinde meinten am Freitag einhellig, zu Weihnachten geht es um die Familie, Eltern, Geschwister, Großeltern, es geht darum, Freundinnen und Freunde zu sehen. Ich möchte Weihnachten spüren, so wie menschliche Wärme, Zuneigung, Achtsamkeit mir gegenüber. Da tut es gut, anderen zu helfen oder sich helfen zu lassen. Gemeinsames Essen und Speisen anstatt womöglich einsam zu verweilen.
Mit der Geburt von Jesus stürzt Gott, wie Maria singt, die Mächtigen vom Thron. Also nicht wirklich, denn sie beherrschen seit damals weiterhin die Weltbühne. Kein Krieg würde geführt, wenn es nicht irgendwo einen machthungrigen kompromisslosen Herrscher geben würde. Aber Gott stürzt sie mit Jesus vom Thron unserer Ehrerbietung. Die Hirten und Hirtinnen, die Männer und Frauen, denen Jesus begegnen wird, sie alle fangen an, Macht nicht mehr als das Einzige zu sehen, was zählt. Allein mit Macht, mit Power, ist nichts zu gewinnen, ich kann mein Leben nicht verlängern, ich kann keine Zuneigung erkaufen und keine Seele erobern.
„Gott liebt dich! Gott rettet uns!“ Louis de Funes würde sagen:
„Nein.“
„Doch.“ „Oooh!“