„Warum weinst du?“

Johannes 20, 11-18

Harald Kluge https://www.youtube.com/watch?v=osKKSBUw5qw

Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie weinte, beugte sie sich in das Grab hinein und sah zwei Engel in weißen Kleidern dasitzen, einer am Kopf und einer an den Füßen, wo der Körper Jesu gelegen hatte.Sie sagten zu ihr: »Frau, warum weinst du?« Sie sagte zu ihnen: »Sie haben meinen Rabbi fortgenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingebracht haben.« Als sie dies gesagt hatte, drehte sie sich um und sah Jesus dastehen, aber sie wusste nicht, dass es Jesus war. Jesus sagte zu ihr: »Frau, warum weinst du? Wen suchst du?« Sie dachte, dass er der Gärtner wäre, und sagte zu ihm: »Herr, wenn du ihn weggetragen hast, sage mir, wo du ihn hingebracht hast, und ich werde ihn holen. Jesus sagte zu ihr: »Maria!« Sie wandte sich um und sagte zu ihm auf Hebräisch: »Rabbuni!« – das heißt Lehrer. Jesus sagte zu ihr: »Halte mich nicht fest, denn ich bin noch nicht zu Gott, meinem Ursprung, aufgestiegen. Geh aber zu meinen Geschwistern und sage ihnen: Ich steige auf zu meinem Gott und eurem Gott, zu Gott, der mich und euch erwählt hat.« 

Maria aus Magdala ging los und verkündete den Jüngerinnen und Jüngern: „Ich habe Jesus den Lebendigen gesehen und er mit mir gesprochen.“

Johannes 20, 11-18

Liebe Gemeinde!

Welche Lieder passen Ihrer Meinung am besten zu Ostern? Auf Ö3 am Karfreitag (freaky Friday) waren es Liederwünsche passend zu Ostern, die gespielt wurden. Alle mussten jedoch im Titel mit O beginnen. Oh, my GOD! Dazu ist das Fest von Ostern geworden … was feiern wir zu Ostern? Das „O“.

Wobei das „Oh!“ ja ein schöner erstaunter Ausruf ist. Nichts klingt doch so freudig wie der Buchstabe Oh! Ein „Ihh!“ passt nicht wirklich zur Osterbotschaft, auch kein „Uhh!“ oder ein „Ehh!“ Nur das „Ohhh!“ können wir uns als überraschten freudig erregten Ausruf derer vorstellen, die den Leichnam von Jesus nach der Kreuzigung plötzlich nicht auffinden konnten.

Das Grab war leer! Warum und wieso – sie wussten es damals nicht. Nur zwei Engel sitzen da und warten auf Maria. Nur der Friedhofsgärtner, der Totengräber ist da noch mit dabei. Denn für den hat Maria den Auferstandenen gehalten. Sie wussten es noch nicht. Und ich frage mich: Woran glaubten der Lieblingsjünger und Simon der Fels, the Rock, denn dann? Die beiden Männer sehen das Grab leer und glauben. Dann gehen sie nach Hause und wenn Jesus der Auferstandene sie nicht aufgesucht hätte, wären sie bestimmt in ihrem Glauben verharrt. Nur was haben sie denn geglaubt? Dass Jesus gestohlen worden war, also der Leichnam geraubt? Dass Jesus bereits in den Himmel geholt worden ist?

Maria tut das, was sie auch unterm Kreuz getan hatte. Sie wartet noch ein wenig. Ihre Emotionen fließen gerade aus ihr heraus, in einem Strom aus Tränen.

Mirjam, woraus wir unser Maria im Deutschen herleiten, bedeutet auf Hebräisch so viel wie „Meer“. Es kann auch „Seestern“ heißen oder „Die Fruchtbare“ oder auch „Die Dicke“ und auch „Die Widerspenstige“. Eine ältere Deutung übersetzt es mit „Geschenk Gottes“. Und Mirjam aus Magdala ist für uns heute auch noch ein Geschenk Gottes.

Denn sie bringt das Ostergeschehen richtig ins Rollen, nachdem der Stein vor der Grabeshöhle von Jesus fortgerollt worden war.

Nur ein paar Minuten, einige Augenblicke will sie dort verharren, am Grab verweilen, trauern, weinen, sich Zeit nehmen zu klagen und sich zu fragen: „Wo haben sie ihn hingebracht?“ Es wäre interessant zu wissen, wen sie oder dann auch die Jünger im Verdacht gehabt haben. Wer hat uns den Rabbi geklaut? Wer hat den Leichnam geraubt? Waren es jüdische Mitbrüder, die den Mythos der Auferweckung nach drei Tagen befeuern wollten? Waren es römische Soldaten, die verhindern sollten, dass hier ein Totenkult entsteht, ein Grabeskult rund um den gekreuzigten religiösen Anführer, den vermeintlichen König des jüdischen Volkes?

Eine Gefahr war dieser Leichnam für die römischen Besatzer ganz bestimmt. Am Grab oder dem Ort des Todes mancher Heldinnen und Helden der Geschichte und leider auch von großen Schurken und Schlächtern der Geschichte versammeln sich Anhänger auch Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte später, um dieser Menschen zu gedenken. Es dient auch dazu, die Ideale und Ideen weiterzutragen.

„Sie haben den Rabbi aus dem Grab weggenommen und wir wissen nicht, wo sie ihn hingebracht haben.“

An wen hat Maria hier wohl gedacht. Vielleicht hat sie nur nicht genau genug geschaut, könnten die Jünger gemeint haben. Also laufen zwei Jünger pronto los zum Grab. Und der Liebling von Jesus zu Lebzeiten ist der Schnellere und kommt als erster an. Er sieht, dass hier manches nicht mit rechten Dingen zugegangen sein kann. Simon kommt schnaufend etwas später dazu und geht schnurstracks in die Grabeshöhle hinein. Verwirrt nimmt er wahr, dass die Leichentücher dageblieben sind, der Körper war fort.

Er hatte genug gesehen und will schon wieder nach Hause gehen, weil es ja nichts weiter zu sehen gibt. So weit so schlecht. Da entschließt sich der Lieblingsjünger auch hineinzugehen, kann auch keinen Leichnam finden und … da wird es interessant … er fängt an zu glauben. Nur wussten sie, wie wir lesen, noch nichts von der Auferstehung.

Die beiden Männer gehen wieder heim. Sie haben genug gesehen, oder eben nichts gesehen. Maria bleibt. Maria weint. Maria wartet. Maria trauert auf ihre Art.

Wenn sie Jesus, dem toten kalten Körper, schon nicht nah sein und so auch nicht die letzte Ehre erweisen kann, indem sie den Körper einbalsamiert, mit Ölen bestreicht, dann will sie zumindest an dem Platz an ihn denken, wo er zuletzt gewesen sein dürfte. Der letzte unbekannte Aufenthaltsort von Jesus, dem Sohn Gottes.

Es zieht uns Menschen fast magisch zu diesen Plätzen, bei denen wir vermuten, dass ein Mensch, und mag er oder sie auch verstorben sein, seinen letzten Aufenthaltsort gehabt hat. Jährlich verschwinden zwischen 10.000 und 12.000 Menschen in Österreich. Zu diesen wird zumindest von Angehörigen oder aus dem Freundeskreis eine Abgängigkeitsanzeige gemacht. Bei etwa zwei Dritteln davon handelt es sich um Kinder und Jugendliche, die aus Betreuungseinrichtungen abpaschen. Mehr Menschen, vor allem ältere Personen, verschwinden teils spurlos, ohne dass sie vermisst werden oder jemand nach ihnen sucht.

Und so wie Maria in unserer Erzählung suchen die Angehörigen oft den Platz auf, an dem ihr geliebter Mensch zuletzt gesehen worden war. Übrigens tauchen fast 85% der Vermissten innerhalb einer Woche wieder auf. Das macht es aber für diejenigen, die von Ängsten und Sorgen ums Wohlergehen besorgt sind, nicht besser.

Denn was wenn der Sohn, die Tochter, der Ehemann, die Ehefrau, die Oma oder der Opa nicht wieder auftaucht?

Was wenn Maria, Simon, der Lieblingsjünger, seine Mutter, seine Tante, die Geschwister, was wenn Andreas, Jakobus, Johannes und Salome, Martha, Lazarus nichts mehr von Jesus gehört und gesehen hätten? Was wäre, wenn er ihnen nicht erschienen und sie nicht von ihren Befürchtungen, Ängsten befreit hätte? Um Vermisste kann ich nicht trauern, denn ich weiß ja nicht, ob er oder sie noch lebt. Da ist dann diese Ungewissheit, die quälend Familien und unseren Lebensmut, unseren Lebenswillen auffressen und zerstören kann.

Maria wird sich unendlich allein gefühlt haben. Und da sieht sie zwei Engel sitzen, dort wo eigentlich der Leichnam von ihrem geliebten Lehrer hätte liegen müssen. Es ist alles furchtbar durcheinander geraten. Und wir kennen das – wenn uns unvorbereitet unsere klaren Vorstellungen plötzlich zerschlagen werden, dann scheint es fast so, als würde sich jegliche Gewissheit und Wahrheit im Leben auflösen. So eine Erschütterung kann mein gesamtes Weltbild in Frage stellen. Solche Ausnahmesituationen werfen uns aus dem Alltag, wie wir ihn kennen, gnadenlos heraus.

Nichts scheint mehr zu passen, alles wackelt, was wahr und richtig schien, wird plötzlich nichtig und ich fange an alles zu hinterfragen. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass Maria enorm enttäuscht gewesen sein wird. Sie wird kaum beachtet. Zuerst trauen die Jünger ihr nicht – müssen wieder mal die Schnellen und Starken spielen, so wie zu Lebzeiten, als sie ständig Jesus schau her, Jesus sieh her, wie toll ich bin, wie treu, wie fanatisch, wie stark, wie verlässlich … alle wollten sie die besten Plätze im Reich Gottes an der Seite von Jesus haben. Männer! Dabei wissen wir doch, wen GOTT am liebsten um sich hatte. Die Geschlagenen und Zerschlagenen, die Gedemütigten und Erniedrigten, die Kleinsten und Unbeachteten, die Kinder, Witwen, Fremden, Ärmsten, Hungernden und vom Schicksal Durchgebeutelten.

Der Lieblingsjünger lässt seine flinken Füße spielen, Simon daraufhin will beweisen, wie mutig er doch ist und geht als erster ins dunkle Grab hinein. Und dann? Keiner von den beiden bemerkt Maria, sieht, dass Maria weint, traurig ist.

Warum bleibt keiner der beiden bei ihr? Sie hätten ihre Trauer teilen können und vor allem hätten sie diese Frau nicht allein in einem unsicheren Gelände zurückgelassen.

Es ist vorgekommen, dass Friedhofsbesucher und Besucherinnen gerade dort in diesem Gebiet von Wölfen, von Raubtieren, von Räubern, Dieben und Gewaltverbrechern überfallen worden sind.

Nein, die Männer laufen wieder heim. Sie hatten für sich genug gesehen, Maria wurde keinerlei weitere Beachtung geschenkt.

GOTT und Jesus schenken ihr Beachtung. Zwei Gottesboten wird Maria zuerst im Grab sehen können.

Und sie sprechen mit ihr, fragen sie das Offensichtliche: „Frau, warum weinst du?“ Diese sanfte Frage kann Schleusen öffnen. Hier interessiert sich plötzlich jemand für mich. Die Jünger sind alle wieder zuhause, im warmen Kämmerlein, in Sicherheit, unter sich. Die Boten stimmen Maria sanft darauf ein, was gleich folgen wird. Denn hinter ihr taucht Jesus, der Auferstandene, auf. Oft passiert es uns, dass wir Dinge, die vor unseren Augen auftauchen erst einmal nicht glauben können.

Da spielt uns dann unser Gehirn einen Streich. So wird es bei Maria wohl auch gewesen sein.

Sie erkennt Jesus nicht, denkt, es ist der Gärtner, der Friedhofsgärtner, der Aufpasser, der Totengräber würden wir heute sagen.

Aber Jesus, der Auferstandene, ist in gewisser Weise ein Gärtner, denn er bringt die Blumen der schönsten Vorstellungen zum Blühen. Glaubt an die Auferstehung, glaubt an mich! Wie wunderbar!

Und auch dieser scheinbar Fremde stellt die Frage, die eigentlich Marias Weggefährten hätten stellen sollen: „Frau, warum weinst du?“ Sie ist augenscheinlich auf der Suche und so fragt die Gestalt: „Wen suchst du?“

So ein Zeichen von Aufmerksamkeit ist so wohltuend. Wenn wir gefragt werden: „Warum weinst du? Wen suchst du? Was bringt dich aus der Fassung? Warum bist du so verzweifelt und so traurig?“

Allein zu spüren, dass mir hier jemand begegnet, der oder die es mir ansieht und nicht gleich umdreht und fortgeht, das Telefongespräch vielleicht abbricht. So ein Nachfragen, ganz behutsam, so ein Daraufeingehen auf das Befinden, nicht das Wohlbefinden sondern mein Unwohlbefinden, ist ganz einfach. Diese simple Frage bringt bei Maria endlich wieder ein wenig Sicherheit, ich werde als Frau gesehen. Meine Ängste, meine Sorgen, meine Befürchtungen, die ich noch gar nicht richtig formulieren kann, sind für diesen Menschen gerade eben wichtig.

Und so stammelt sie:  »Herr, wenn du ihn weggetragen hast, sage mir, wo du ihn hingebracht hast, und ich werde ihn holen.« 

Wie kindisch das klingt, denn wohin und warum sollte der Friedhofsgärtner Jesu Leichnam fortgetragen haben. Und nachdem er sie einfach nur bei ihrem Namen ruft: „Maria!“ „Mirjam!“ Da wird es Maria klar, sie erkennt, hier vor ihr kann nur einer stehen, Jesus, und demnach muss er von GOTT auferweckt worden sein.

Nur Jesus war zu Lebzeiten an ihrem Schicksal interessiert gewesen. Niemand in der Jüngerrunde sonst hat wohl große Stücke auf sie gehalten. Die Anhängerschar rund um Jesus, wo sie immer wieder versucht haben, einander zu übertrumpfen, waren gewiss nicht nur ein Herz und eine Seele. Von Maria aus Magdala wissen wir nur wenig, aber sie stand mit seiner Mutter und seiner Tante und dem Lieblingsjünger beim Kreuz und harrte bis zum Moment aus, als Jesus starb. Und sie ging ganz allein, so berichtet es Johannes, in aller Früh zum Grab. Da war es sogar noch dunkel, womöglich hatte Maria auch nicht geschlafen, nicht schlafen können. Und wahrscheinlich wollte sie so zeitig wie möglich und so nah wie möglich bei ihrem Jesus sein können. Das ist doch wahre Liebe.

Maria aus dem Städtchen Magdala wird zur ersten Zeugin der Auferstehung. Mit ihr spricht Jesus nach seiner Auferweckung zuallererst. Nicht mit dem Lieblingsjünger, nicht mit Simon, nicht mit seiner Mutter. Er spricht zu seiner Maria, ganz liebevoll nennt er sie bei ihrem Namen. Und sie stürmt los, eifrig, getröstet, voller Tatendrang und verkündigt als erste, dass Jesus lebt. Ein Spruch, den wir heute noch als Ausdruck unseres innigen Glaubens sagen: „Jesus lebt! Er ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden!“

Und er fragt uns: Warum weinen wir? Warum sind wir traurig? Warum geht es uns so? Was treibt uns, sorgt uns, ängstigt uns?

Wir führen die Mission von Maria fort. Und dieses Gefühl, Jesus ist nicht im Totenreich und in der Vergessenheit entschwunden, „Er lebt!“ und mit ihm auch ich, das ist doch Freude! Das ist doch ein echter Grund zur Freude!

Ich wünsche Ihnen, dass Sie wie Maria mit so einer Freude im Herzen, einer herzlichen Freude, und mit Gewissheit und einer großen Portion Glauben von hier fortgehen werden. Maria konnte den Friedhof getröstet verlassen, denn ihr geliebter Rabbi war auferstanden. Und mit ihm und ihr auch wir.

AMEN