Genesis 3,1-9 “Was kann ich wissen?” Kant 1. Teil Harald Kluge

GOTT, der HERR, brachte (einst) Adam, den Menschen, in den Garten von Eden. GOTT gab ihm die Aufgabe, den Garten zu bearbeiten und ihn zu bewahren. Dann schärfte GOTT dem Menschen ein: »Von allen Bäumen im Garten darfst du essen, nur nicht von dem Baum, der dich Gut und Böse erkennen lässt. Sobald du davon isst, musst du sterben!« … Die Schlange war listiger als alle anderen Tiere, die GOTT, der HERR, gemacht hatte. »Hat GOTT wirklich gesagt, dass ihr von keinem Baum die Früchte essen dürft?«, fragte sie die Frau. »Natürlich dürfen wir«, antwortete die Frau, »nur von dem Baum in der Mitte des Gartens nicht. GOTT hat gesagt: ›Esst nicht von seinen Früchten, ja – berührt sie nicht einmal, sonst müsst ihr sterben!‹« 

»Unsinn! Ihr werdet nicht sterben«, widersprach die Schlange, »aber GOTT weiß: Wenn ihr davon esst, werden eure Augen geöffnet – ihr werdet sein wie GOTT und wissen, was Gut und Böse ist.« Die Frau schaute den Baum an. Er sah schön aus! Es wäre bestimmt gut, von ihm zu essen, dachte sie. Seine Früchte wirkten verlockend, und klug würde sie davon werden! Sie pflückte eine Frucht und biss hinein. Dann reichte sie die Frucht ihrem Mann, der bei ihr stand, und auch er aß davon. Plötzlich gingen beiden die Augen auf, und ihnen wurde bewusst, dass sie nackt waren. Hastig flochten sie Feigenblätter zusammen und machten sich daraus einen Lendenschurz.

Genesis 2,15-17.3,1-7

Liebe Gemeinde! Es war einfach zu verlockend. Die Gelegenheit war günstig. Die Früchte schimmern im Sonnenlicht, wie aus einer Werbung für Südfrüchte. Mit einem Lächeln beißt die hinreißend hübsche, schönste weil einzige Frau der Welt in diese Frucht. Und sie wird klug, gescheit. Mädchen sind eben immer weiterentwickelt als gleichaltrige Burschen.

Es ist Futter für die grauen Zellen. Viel grünes und orangefarbenes Gemüse, Zitrusfrüchte, Äpfel, Beeren wecken bei uns die müden Geister und sorgen für ein besseres Gedächtnis. Das wusste bereits Gott und deshalb hatte Gott es seinen Menschenkindern verboten.

Wir lesen die Urgeschichte über das Erwachsenwerden, über die Entwicklung der eigenen Intimsphäre. Irgendwann wollen Kinder eben, dass man anklopft, bevor man ins Zimmer tritt. Oder sie möchten sich auch einmal einfach nur zurückziehen. Und gerade das werden Adam und Eva auch machen. Sie wollen von ihrem Vater nicht gesehen werden, haben genug von der Bevormundung. Und dem ewigen Drang, immer gehorchen zu müssen, erteilen sie eine klare Absage.

Also wird es Zeit, dass Gott sie ausziehen lässt, mit Kleidung im Gepäck zeigt er ihnen die Tür und gibt ihnen noch schöne Aussichten aufs Leben mit auf ihren Weg.

Übrigens, liebe Kinder. Das Leben ist kein Zuckerschlecken. Für dich, Mann, wird es ein täglicher Überlebenskampf, und die Felder zu bestellen wird eine anstrengende Arbeit. Du wirst schuften bis zum Umfallen. Und du, gute Frau, wirst unter Schmerzen Kinder gebären und dich um den Haushalt kümmern. Also viel Glück, weil Spaß werdet ihr wenig haben!

Wissen macht „Ah!“ aber nicht immer glücklich. Nichtwissen kann oft beruhigender sein. Ach, wenn wir doch nicht so viel wüssten. Wenn wir nichts vom Klimawandel wüssten, nichts von den Kriegen, dem Hunger und der Not in anderen Gegenden oder gleich nebenan. Wenn uns Grausamkeit und Verschlagenheit und Lügen und Betrügereien und Gewalttaten unbekannt wären, würden wir da nicht ruhiger schlafen? Wer will schon von den unschönen Dingen herausgerissen werden aus dem beschaulichen Garten, den wir uns anlegen?

Aber wir wissen es, wissen viel und wollen noch mehr wissen. Selten denke ich mir: „Ich will´s gar nicht wissen, nicht so genau! Ich weiß mehr als gut ist, wenn ich dir in die Augen schau…“, hat Willi Resetarits, Kurt Ostbahn, gesungen.

Unsere Neugier ist die treibende Kraft. Sie garantiert Entwicklungen, Erfindungen, Entdeckungen. Ohne Neugier würden wir noch immer rund um ein Lagerfeuer hocken und an Knochen nagen.

Als den ersten Menschen die Augen aufgehen, haben sie Folgendes erkannt: Sie sind anscheinend belogen worden. Denn sie sind nicht, wie GOTT es angedroht hatte, vom Blitz getroffen tot umgefallen. Und ihre Handlung hat weitreichende Konsequenzen für ihre Beziehung zueinander. Der erste Knacks in ihrer Partnerschaft entsteht. Mann und Frau reden sich aufeinander aus und sehen, sie können einander nicht vertrauen. Wenn es hart auf hart kommt, ist jede und jeder sich selbst der Nächste. Sie suchen Ausreden und reden sich auf einander aus.

Die Schlange mag die Frau und diese den Mann verführt haben. Aber gehandelt haben Mann und Frau völlig selbstverantwortlich. Ihre Neugier hat sie dazu getrieben. Was haben Sie nicht aus Neugier alles schon getan?

Wie mag die Frucht, das Obst wohl schmecken? Säuerlich, süß, ranzig? Was wird dann passieren? Fallen wir um wie totes Obst von einem Baum?

Mit der Verdauung und Umwandlung der Frucht im Organismus kommen ihre kleinen grauen Zellen in Gang. Und sie erkennen den Unterschied zwischen Gut und Böse, Richtig und Falsch. Oder wie es die hebräische Sprache ausdrückt: Sie entdecken, was förderlich ist und was schadet. In dieser Hinsicht werden sie gottgleich.

Gerade hier hat Immanuel Kant, der Philosoph aus Königsberg, dem heutigen russischen Kaliningrad, angesetzt:

Selbst denken tut Not. Nutz dein eigenes Gehirn. „Sapere aude!“ Habe Mut, dich des eigenen Verstandes zu bedienen!

Schlüpf raus aus deiner Komfortzone! Übe Kritik!

Aber vergiss nicht: Es braucht auch Demut. Selbstdenken ohne Demut ist arrogant und schädlich, für dich und andere. So wird Immanuel Kant, der vor 300 Jahren geborene Bestsellerautor seiner Zeit, bei seinen Versuchen Wissen zu ergründen, auf falsche Fährten gelangen. Ein bisschen Rassismus, ein wenig Antisemitismus, Europazentrismus und Menschenverachtung zeigen bei ihm, dass Erkenntnis leider nicht vor den unschönen Blüten des Geistes schützt.

Also: Immer schön demütig bleiben. Das Wissen, das du hast, ist nichts im Vergleich zu dem, was noch auf dich wartet. Und setze es heilsam ein!

Eva und Adam erkennen, dass sie nackt sind und dabei beim anderen etwas auslösen. Sie ziehen sich also etwas über und gehen, wenn auch holprig, ihre ersten Schritte hin zur selbstgewählten Mündigkeit. Sie wissen wohl, was sie tun, nur der Konsequenzen sind sie sich nicht klar gewesen. Aber wann sind wir uns das auch? Es gibt keinen Weg zurück. Der Geist, der heilige Geist, die Klugheit, die Weisheit ist aus der Flasche geschlüpft und hat die Menschen erfüllt.

Und GOTT wusste von diesem Punkt an, oder wahrscheinlich wusste GOTT es schon davor, aber jetzt war es bewiesen: Diesen Menschen ist nicht zu trauen. Und den Menschen wird künftig alles zuzutrauen sein.

Von dem Knüppel, mit dem Kain seinen Bruder Abel erschlagen wird, hin zum Schwert, zur Muskete und zur Rakete, dann zur Atombombe und Wasserstoffbombe ist es eigentlich nur eine kurze Geschichte der Menschheit. In kürzester Zeit hätten die Menschen in ihrem Größenwahn diesen göttlich angelegten Garten, das paradiesische Eden zu einer chaotischen Spielfläche ihrer Wünsche und Genüsse gemacht. Also wirft GOTT sie kurzerhand hinaus. Also raus mit den erwachsen gewordenen Kindern und sollen sie schauen, wo sie ihre Neugier hinführt. Es war aus heutiger Sicht der Übergang von einem eingegrenzten Versuchsgelände hin zu einer open world, einer Welt unvorstellbarer und unbegrenzter Möglichkeiten.

Am Anfang steht das Wissenwollen, der Drang der Neugier zu folgen.

„Was kann ich noch alles wissen?“ Weit haben wir es gebracht. Den Zusammenhängen dieser Welt und des Universums sind wir auf der Spur, haben nahezu 30% der Weiten im All ausgelotet, Voyager-Sonden gestartet, die bereits unser Sonnensystem verlassen haben und im interstellaren Raum schweben. Gerade dieser Tage findet in London eine Konferenz statt, auf der an den Grundfesten der Astrophysik gerüttelt wird. Die moderne Astronomie basiert auf der hundert Jahre alten Annahme, dass das Universum überall gleich aussieht. Neue Ergebnisse bringen dieses Bild ins Wanken und eröffnen bisher ungeahnte neue Theorien.

Das Staunen hat anscheinend kein Ende.

Krankheiten werden erforscht, Arzneien entwickelt, neue Krankheiten tauchen auf. Und das Lob der ärztlichen Künste im Alten Testament in der weisheitlichen Spätschrift Jesus Sirach um 180 v. Chr., aufgeschrieben 38, bringt einen wichtigen Aspekt jedes Wissens zum Ausdruck:

„Wissen soll der Heilung dienen, nicht der Zerstörung.“ Berufliches Wissen und jede Handwerkskunst müssen anerkannt werden. Die Liebe zum Handwerk hat mit Wissen zu tun.

Wer in der Töpferei, der Schmiede, am Feld und im Stall arbeitet, sollte unsererseits hohes Ansehen genießen, denn all das geht nicht ohne das heilsame Wissen um Zusammenhänge, nicht ohne technisches Knowhow und den Erwerb von Fertigkeiten. Handwerker und Handwerkerinnen werden im Alten Testament in einem Atemzug mit den Künstlerinnen und Künstlern genannt. Ihnen gelten das höchste Lob und unsere dankbare Anerkennung.

„31 Sie alle vertrauen auf ihre Hände und jeder ist ein Könner in seinem Beruf. 32 Ohne sie würden keine Städte gebaut, niemand könnte darin wohnen oder dorthin reisen. Aber in der Ratsversammlung fragt man nicht nach ihrer Meinung. 34 Aber sie halten diese Welt in Gang und ihr Gebet besteht in der Ausübung ihres Berufes.“ (Sirach 38)

Was können wir wissen? Was kann ich wissen?

Je nach Anspruch: alles oder nichts. Wir kennen erst an die 10% der Lebewesen, Tiere und Pflanzenarten und Pilze dieses Planeten. Die Weltmeere sind bis heute kaum erforscht. In Bezug auf das gesamte Volumen der Erde kennen wir nur fünf Prozent, erklären Forscher des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen. Wir haben erst 1-10 % der Lebewesen dieses Planeten klassifiziert. Die tiefen Meere sind noch weitgehend Terra Incognita.  Und vom Weltraum brauchen wir erst gar nicht zu sprechen. Nur fünf Prozent dieses Universums sollen uns bekannt sein. Es sind jene Sterne und Planeten, die wir erkennen können. Der Rest, das ist eine Form von Materie, die mit herkömmlicher Materie nicht in Wechselwirkung tritt, und «dunkle Energie», die ebenso rätselhaft bleibt.

„Was kann ich wissen?“ Heute mehr denn je. Denn das Internet erweitert gewissermaßen den Zugriff auf Datenmaterial weltweit. Nur muss man konstatieren, dass parallel dazu viel Literatur und Erkenntnisse und Wissen in Bibliotheken, in Büchereien, in Archiven verstauben und, wenn sie nicht eingescannt und aufbereitet werden, nicht herangezogen werden, wenn man sich Wissen aneignen will. Wir sehen auf unseren Screens, den Bildschirmen der PCs, Tablets, Handys, Laptops, einen immer kleineren Ausschnitt bereits gesammelten Wissens.  Was kann ich wissen? Immer weniger. Denn es hängt davon ab, wie sehr ich mich anstrenge, zu Wissen zu gelangen.  Die Künstliche Intelligenz kann man auch mit Recht Künstliche Unintelligenz nennen, weil eine KI auf eine Frage allein auswirft, was vorher hineingeklopft wurde. Was nicht hineingeklopft wird in die Datenschleudern, das gibt es für die KI nicht.

Es gibt nebenbei angemerkt auch gefährliches Wissen.

„Was sollte ich nicht wissen?“

Das ist etwa jenes Halbwissen, unkritisch übernommen, nicht hinterfragt. So gesehen wollte Eva in der Geschichte mit der Schlange keinem Halbwissen folgen. Sie wollte wirklich wissen, erfahren, was es mit dieser Frucht auf sich hat und mit diesem Verbot. So gelesen ist Kant die Schlange, die uns aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit herausholen will. Und bösartig ist die Schlange ja auch nicht wirklich. Habe Mut, selbst zu denken! Folge deinen Zweifeln, deiner Vernunft, deinem Verstand!

Hat diese nicht auch GOTT dir gegeben? Und solltest du nicht an GOTT glauben, dann folge trotzdem deinem Verstand, deinen Sinnen, deinen Gedanken und auch den Gefühlen. Aber behalte dein Misstrauen.

Die Menschen erkennen fortan, was schädlich und was heilsam ist, was der Beziehung gut tut und was dazu führen kann, dass sie zerbricht.

Der Baum in der Mitte des Gartens hat die eine und wichtigste Frucht bereitgehalten: das Wissen. Um diesen Baum, die Erkenntnis, das Erkennen, das Denken, Zweifeln, Skeptischbleiben kreist alles Geschaffene.

Einmal genossen, gibt es kein Zurück mehr. Dann müssen die Menschen den göttlichen Tiergarten verlassen, denn die Welt eröffnet hier ihre Wunder, ihren Zauber und ihre zerstörerischen und mörderischen Kräfte. Das müssen wir erkennen und wir dürfen nie wieder in die Unmündigkeit zurück verfallen.

Was kann ich über GOTT wissen?

Kant antwortet darauf: Nichts!

Aber Kant bleibt bei dieser Frage nicht stehen – keine seiner vier Fragen sollte allein für sich betrachtet werden. Denn auf die Frage: „Was kann ich von GOTT wissen?“, muss folgendermaßen weitergefragt werden:

„Was darf ich also hoffen?“

Antwort darauf: „Dass es GOTT gibt.“

Aber das ist eine andere Geschichte.