Harald Kluge „Was soll ich tun?“ Kant 2. Teil Lukas 12,15-26 Audiogottesdienst Youtube
Was soll ich tun? Wer hat sich das noch nicht überlegt. Und eine der vielen Geschichten dazu in der Bibel findet sich bei Lukas, Kapitel 12. Da ist ein Mann mit einer besonderen Problematik konfrontiert, die wir, denke ich, alle kennen. Jesus wandte sich an alle Umstehenden:
»Hütet euch vor der Habgier! Wenn jemand auch noch so viel Geld hat, das Leben kann er sich damit nicht kaufen.« An einem Beispiel erklärte er seinen Zuhörern, was er damit meinte: »Ein reicher Gutsbesitzer hatte eine besonders gute Ernte. Er überlegte: ›Was soll ich bloß tun? Ich weiß gar nicht, wo ich das alles unterbringen soll. Jetzt hab ich eine Idee! Ich werde die alten Scheunen abreißen und neue bauen, so groß, dass ich das ganze Getreide, ja alles, was ich habe, darin unterbringen kann. Dann werde ich mir sagen: Du hast es geschafft und für lange Zeit ausgesorgt. Ruh dich aus! Lass es dir gut gehen – iss und trink und genieße dein Leben!‹
Aber Gott entgegnete ihm: ›Wie dumm du doch bist! Noch in dieser Nacht wirst du sterben. Wer bekommt dann deinen ganzen Reichtum, den du angehäuft hast?‹« Und Jesus schloss mit den Worten: »So wird es allen gehen, die auf der Erde für sich selber Reichtümer anhäufen, aber mit leeren Händen vor Gott stehen.«
Jesus wandte sich wieder seinen Jüngern zu: »Deshalb sage ich euch: Macht euch keine Sorgen um euren Lebensunterhalt, um Essen und Kleidung. Leben bedeutet mehr als Essen und Trinken, und der Mensch ist wichtiger als seine Kleidung. Seht euch die Raben an! Sie säen nichts und ernten nichts, sie haben keine Vorratskammern und keine Scheunen. Gott versorgt sie. Und ihr seid ihm doch viel wichtiger als diese Vögel! Wenn ihr euch noch so viel sorgt, könnt ihr doch euer Leben um keinen Augenblick verlängern. Wenn ihr aber nicht einmal das könnt, was sorgt ihr euch um all die anderen Dinge?«
Lukas 12,15-26
Liebe Gemeinde!
„Was soll ich bloß tun? Ich weiß gar nicht, wo ich das alles unterbringen soll.“ Wer kennt dieses Luxusproblem nicht?
Heute würde Jesus wohl sagen, der reich begüterte Mann mietet sich daraufhin ein paar Lagerräume bei Selfstorage und schafft den ganzen Krempel dorthin. Und wenn er nicht gestorben ist, dann zahlt er auch noch heute und fragt sich heute noch: Was soll ich nur machen?
Was soll ich nur mit dem vielen Geld machen, fragen sich zurecht jene, die Geld auf der hohen Kante haben. Die Redewendung stammt übrigens aus dem Mittelalter, als wohlhabende Menschen ihr Vermögen noch nicht auf die Bank brachten, sondern bei sich zuhause aufbewahrten. Ein beliebtes Versteck für das Ersparte waren Geheimfächer in hochherrschaftlichen Betten und eben die „hohe Kante“.
Für Immanuel Kant, den vor dreihundert Jahren geborenen Philosophen, hatte die Frage „Was soll ich tun?“ natürlich eine moralische Zielrichtung. Es geht ihm damals nicht um die Fragen:
Was soll ich essen? Schnitzel oder Salat.
Was soll ich trinken? Wein oder Wasser.
Was soll ich anziehen? Hemd oder T-Shirt.
Und da trifft er sich mit einem Wort von Jesus, der bei Lukas 12 sagt:
„9 Zerbrecht euch also nicht mehr den Kopf darüber, was ihr essen und trinken sollt! 30 Nur Menschen, die Gott nicht kennen, lassen sich von solchen Dingen bestimmen. Euer Vater im Himmel weiß doch genau, dass ihr dies alles braucht. 31 Setzt euch vielmehr für Gottes Reich ein, dann wird er euch mit allem anderen versorgen.“
Für Gottes Reich einzutreten würde demnach der moralischen Frage entsprechen: Was soll ich tun, um einen moralisch gerechtfertigten Weg in meinem Leben zu gehen?
Und da trifft es sich wieder mit den Fragen: Was soll ich essen? Fair, bio, vegetarisch?
Was soll ich trinken? Biosäfte, aus Glasflaschen oder Tetrapaks oder Plastikflaschen?
Was soll ich anziehen? Kleidung mit Gütesiegel, mit 100% Sicherheit keine Kinderarbeit und aus fairer Herstellung, bei der die Näherinnen und Näher genug verdienen.
Wie finden wir eine Antwort auf diese Frage: Was soll ich tun?
Es ist eine der vier großen Fragen des Philosophen Immanuel Kant:
Was kann ich wissen? Gewiss nicht alles.
Was soll ich tun?
Was darf ich hoffen?
Was ist der Mensch?
So simpel muss Philosophie fragen, und fragen wir uns im Alltag doch auch immer wieder, wollen wir den Dingen auf den Grund gehen – und wir müssen die gefundenen Antworten immer wieder über Bord werfen, wie auch in den Geisteswissenschaften immer neu die Antworten gesucht werden müssen. Aber warum gelten nicht ein für allemal die Antworten auf diese Fragen für alle Zeiten? Eine schöne Geschichte dazu ist die der Lesung aus dem ersten Buch Samuel 28. König Saul besucht darin eine Totenbeschwörerin und sucht um Hilfe an. Er sucht Rat bei den Geistern der Vergangenheit. Saul möchte die Ahnen befragen, will von den Verstorbenen, den verehrten Köpfen Weisheit und Ratschläge erhalten. Und auch wir fragen uns doch oft, was hätte er oder sie uns geraten?
Was hätte uns Jesus heute zu sagen? Was soll ich tun? Was sollen wir tun? Die Apostel von Jesus, nachdem er von GOTT in den Himmel hinaufgezogen worden war, fragten sich das auch. In ihren Gebeten suchten sie sehnsüchtig nach Aufträgen, Botschaften, einem weiteren Weg, den sie in den Fußstapfen ihres Rabbis, ihres Lehrers und Meisters gehen sollen. Was will Gott von mir? Da geschieht es an einem Festtag, dem jüdischen Schawuot-Fest, dass genau das passiert, wovon Jesus ihnen erzählt hatte. Schawuot feiern Juden am 50. Tag nach Pessach, dem Frühlingsfest, das an den Auszug aus Ägypten erinnert. Und Jesus hatte zu seinen Lebzeiten vorhergesagt: Ich sende euch meinen Beistand, den Tröster, den Geist. Und dieser Geisteswind wird euch begeistern, eure Seelen erfüllen, euch froh und mutig und zuversichtlich stimmen. Ihr müsst nicht mehr in den Fesseln der Vergangenheit verharren. Ihr sollt euch keine Ratschläge von Toten, heraufbeschworenen Geistern, klugen Köpfen aus uralten Zeiten holen.
Versprecht euch nicht zu viel von alten Lehren, vertraut auch auf den Geist, den GOTT euch schenkt. Was hätte Mose gesagt, getan, geraten? Stellen wir doch diese Fragen nicht länger. Suchen wir die Antworten nicht nur in der Vergangenheit.
Was soll ich tun? Diese Frage von dem Philosophen Immanuel Kant, der vor 300 Jahren geboren wurde, ist deshalb so elegant, weil sie mich persönlich anspricht. Es ist mein Blickwinkel, von dem aus ich diese Frage stelle und stellen muss. Kant sagt nicht: Fragt euch: Was sollen wir tun? Was sollt ihr tun? Was sollst du tun? Ich will euch nicht sagen, was sie tun sollen.
Ihm geht es nur um diesen Moment, den wir alle kennen, in dem wir auf uns allein gestellt sind und uns fragen müssen: Was soll ich jetzt bloß tun? Und aktuell müssen wir feststellen, dass es auch die Situationen gibt, in denen vor allem jüngere Menschen sich diese Frage stellen, weil sie absolut keine Wege für sich entdecken können. Viele Schülerinnen und Schüler kennen leider dieses Gefühl, dass sie keine wie auch immer gearteten Wahlmöglichkeiten für sich ausmachen können. Innerlich fühlt man sich leer, ausgebrannt, erstarrt, sieht keine Zukunft für sich und diese Welt. Da überfordert allein schon die Frage danach: „Was willst du tun?“
König Saul in unserer Lesung erlebt auch diese Lage, in der er völlig erschöpft ist und müde und hungrig und durstig, weil er darauf nicht geachtet hat, merkt, er sieht keine Zukunft mehr für sich. GOTT hat sich abgewandt, Samuels Totengeist will nicht mit ihm sprechen.
Aber eine Frau, die Totenbeschwörerin, fragt ihn und überlegt: Was soll ich für dich tun?
Und sie wird ihm eine Mahlzeit auftischen, ihn zum Essen und Trinken zwingen. Und Saul wird gestärkt fortgehen.
Was soll ich tun?
Was soll ich für dich tun?
Was soll ich für mich tun?
Diese Fragen haben so viele Facetten und allein durch das Zufügen des kleinen Wortes „nicht“ zu „Was soll ich nicht tun?“ eröffnen sich viele tausende weitere Gedanken. Das macht gute Philosophie aus und auch Theologie, sie lädt zum Weiterdenken ein und eröffnet Möglichkeiten.
Immanuel Kant hat sich diese Frage oft gestellt und ist eines Tages auf die großartige Antwort gestoßen, einen Friedensentwurf zu verfassen. Was soll ich tun? Mit meiner Begabung, mit meinen Netzwerken, meinen Bekanntschaften, meinem Wissen und mit meiner Zeit und mit meinem Geld? Ich mache mir Gedanken dazu, wie es Frieden, anhaltenden Frieden geben könnte. Seine Schrift „Vom ewigen Frieden“ ist eine Wucht und hat diese Wucht auch gehabt. Denn darin geht er der Frage nach, was es zu einem Frieden braucht. Meine Schülerinnen und Schüler haben großteils geschmunzelt und die Köpfe geschüttelt. „Langanhaltenden Frieden kann es nicht geben“, meinten sie. In Europa waren es auch nur gerade 45 Jahre.
Aber Kant geht der Frage nach dem, was Frieden stabil erhalten könnte, nach. Wie in der Familie, in der Kinder streiten, was ja leider öfters vorkommen soll, da gibt es eine Instanz, die hoffentlich gröbere Verletzungen verhindert. Die Erziehungsberechtigten, oder auch Kindergartenpädagoginnen und Pädagogen und Lehrkräfte haben den nötigen Einfluss, dass es zwischen Kindern nicht gleich immer zu Mord und Totschlag kommt. Dass es nicht immer präventiv vor Gewalt schützt, beweist bereits das erste Elternpaar der Menschheitsgeschichte. Eva und Adam können es als Eltern nicht verhindern, dass Kain seinen Bruder Abel erschlägt. Aber grundsätzlich bewahrt es uns auch im großen Weltgeschehen davor, oder könnte es zumindest, in einen großen Krieg zu geraten, wenn eine Instanz übergeordnet wäre, die im Fall der Fälle ein Machtwort spricht und sagt: „Hör auf Krieg zu führen! Zieh deine Truppen zurück! Schlag nicht länger auf den Gegner ein!“
Nach Immanuel Kants Schrift und davor auch bereits, aber noch mehr in den Jahrzehnten und Jahrhunderten danach haben diese Idee eines andauernden Friedens immer wieder mutige engagierte idealistische Männer und Frauen als Ideal, als eine Utopie aufgenommen und weiterentwickelt. Wie es eine Forschung an neuen Waffen und neuen Taktiken und Strategien des Kriegführens gibt, so haben auch Friedensforscherinnen und Friedensforscher in dem Weltgeschehen ein Wörtchen mitzureden. Meist leise, aber nicht unüberhörbar. Was soll ich tun, um Kriege zu beenden, um Frieden zu schaffen, um auf einen Frieden hin zu wirken?
Zuallererst muss ich mir diese Frage stellen und erlauben. Und ich darf nicht aufhören, diese Frage immer wieder zu stellen. So wie wenn ich zwischen Streithansln dazwischengehe und mit den Werkzeugen der Mediation, der Konfliktlösungsstrategien einen neuen friedlichen Weg mit den Streitparteien suche.
Das funktioniert in der Familie, in kleinen und großen Gemeinschaften. Selbst innerhalb der Gesellschaft kann ich mich fragen und müsste ich es auch: Was soll ich tun, um Gräben nicht zu vertiefen oder neue aufzureißen? Selbst wenn mein Gegenüber auf Streit aus ist und den Teufel an die Wand malt, bleibt immer der Weg eines respektvollen wertschätzenden Umgangs, den ich durchaus auch hart in der Sache und in der Diskussion pflegen kann.
Das ist übrigens eine der Voraussetzungen, die Kant festmacht und die auch von Jesus selbst immer wieder gelebt wurde.
Immanuel Kant hat auf die Frage Was soll ich tun? den kategorischen Imperativ formuliert. Das ist ein Prinzip, mit dem wir moralisch richtige Handlungsentscheidungen treffen können. Der Imperativ lautet: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“
„Was du willst, das man dir tue, das tue anderen auch!“, würde die Goldene Regel ein wenig adaptiert demnach lauten.
Ausschlaggebend ist, dass du wir uns vor einer Handlung unsere persönlichen Leitsätze vor Augen führen. Du fragst dich also: Möchte ich, dass alle anderen Menschen auch so handeln? Wenn die Antwort ja lautet, ist die Handlung moralisch; ist die Antwort nein, dann ist sie es nicht.
Ergänzen würde ich, dass eine Handlung, die von allen Menschen als moralisch gut angesehen werden, wohl auch dem strengen Blick GOTTES genügen würde. So gesehen ist diese Forderung eine gute in jeglicher Hinsicht. Schön wäre es, würden sich mehr Menschen daran orientieren. Aber wie immer liegt die Beurteilung im Auge des Betrachters: Wenn wir in die Zukunft blicken, nehmen die moralisch guten Handlungen zu oder ab? Sehen Sie das Glas halbvoll oder eher halbleer?
Sorgen wir uns nicht nur, fragen wir uns nicht nur, sondern tun wir was!
AMEN