„was uns zusammenhält“
Jesaja 54, 11-17
Harald Kluge
Wissen Sie, wie man Ziegelmauern baut? Es braucht eine Form von Klebemasse, Mörtel, damit es gut hält und zusammenhält. Häuser, Dörfer, Städte waren im Judentum immer auch ein Symbol für Gemeinschaft, für eine funktionierende Gesellschaft. Wenn die Häuser stark und fest gebaut waren, zeigte das innere Stärke und Beständigkeit. Waren die Gebäude aber dem Verfall preisgegeben oder durch eine Katastrophe, ein Erdbeben, eine Überschwemmung, durch Brände oder plündernde Horden ausradiert worden, stand das wiederum für ein erodierendes Gemeinschaftswesen.
Der innere Zustand einer Gesellschaft zeigt sich auch an den Häusern und Wohnungen, den Bauwerken und Plätzen, den Wegen und Straßen.
Die Menschen vorderster Zeit in der Bibel fassen einst einen wahnwitzigen aber nachvollziehbaren Entschluss. Das können wir im ersten Buch Mose Kapitel 11 lesen:
»Los, wir formen und brennen Ziegelsteine! Die Ziegel wollen wir als Bausteine benutzen und Teer als Mörtel. Auf! Jetzt bauen wir uns eine Stadt mit einem Turm, dessen Spitze bis zum Himmel reicht! Das macht uns berühmt. Wir werden nicht über die ganze Erde zerstreut, sondern der Turm hält uns zusammen!«
So ganz hat es ja nicht geklappt, aber hunderte oder auch tausende Jahre später geht es wieder darum: Was uns und die Gebäude, die wir hochziehen, zusammenhält – dreimal kommt hier in der Bibel der Mörtel und seine besondere Bedeutung vor.
Die neue Stadt Jerusalem
11 So spricht der Herr: »Jerusalem, du leidgeprüfte Stadt, vom Sturm gepeitscht, von keinem getröstet – ich will dich wieder aufbauen. Dein Fundament lege ich aus Saphiren, fest gemauert mit bestem Mörtel.
12 Für die Brüstung deiner Mauern verwende ich Rubine und für die Tore Kristalle; auch die Mauer soll aus Edelsteinen bestehen.
13 Alle deine Kinder werden von mir lernen, und ich, der HERR, schenke ihnen tiefen Frieden.
14 Dann ist die Gerechtigkeit dein festes Fundament. Du brauchst keine Angst mehr zu haben, denn Kummer und Not dürfen dich nicht mehr bedrücken; nichts wird dich mehr in Schrecken versetzen.
15 Und sollte dich doch ein feindliches Volk angreifen, dann ist es nicht von mir gesandt! Ja, wer es dann noch wagt, gegen dich zu kämpfen, der wird dabei zu Fall kommen.
16 Ich habe den Waffenschmied geschaffen, der die Kohlenglut anbläst und das glühende Eisen zu Waffen schmiedet. Auch der Soldat, der mit ihnen Tod und Verderben anrichtet, ist mein Geschöpf.
17 Doch alle Waffen, die man gegen dich richtet, Jerusalem – sie treffen ins Leere. Wer dich vor Gericht anklagen will, den wirst du als den Schuldigen entlarven.
Das gilt für alle, die in meinem Dienst stehen; ich sorge für ihr Recht. Mein Wort gilt!«
Jesaja 54, 11-17
Vor mehr als 3.000 Jahren gab es den Mörtel schon. Es war so eine Mischung von Ziegenmehl und vulkanischen Sanden. Und die Phönizischen Seefahrervölker hatten hier bei der Verfestigung von Wasser besondere Kunst erlangt. Die Römer hatten daraus dann ihre verschiedenen Zementmischungen weiterentwickelt.
Antike Gebäude zeigen deshalb auch gute Standeigenschaften, selbst bei Erdbeben, halten tausende Jahre alte Gebäude erstaunlich gut.
Immer wieder sind im Laufe der Menschheitsgeschichte Gebäude und auch große Teile von Dörfern und Städten durch die unterschiedlichsten Katastrophen in sich zusammengebrochen. Sie wurden ein Raub der Flammen. Erdbeben, Stürme brachten sie zum Einsturz. Sintflutartige Regenschauer mit Überschwemmungen radierten ganze Landstriche aus.
Auf eine solche gewaltige Katastrophe geht wohl auch die allseits bekannte Legende vom missglückten Turmbau in der Stadt Babel zurück. Dass dabei auch gleich die gesamte Stadt zerstört worden sein soll, und von allen verlassen worden war, ist weniger bekannt.
GOTT sah, was die Menschen tun und wir können GOTT beim Denken zuschauen:
»Seht nur! Sie sind ein einziges Volk mit einer gemeinsamen Sprache. Was sie gerade tun, ist erst der Anfang, denn durch ihren vereinten Willen wird ihnen von jetzt an jedes Vorhaben gelingen!
So weit darf es nicht kommen! Wir werden hinuntersteigen und dafür sorgen, dass sie alle in verschiedenen Sprachen reden. Dann wird keiner mehr den anderen verstehen!« 1 Mose 11
Und so soll es geschehen sein. Nur weil die Menschen sich scheinbar nicht mehr verstanden oder verstehen wollten, findet der Bau ein unrühmliches Ende. Warum aber laufen plötzlich alle Menschen in die unterschiedlichsten Richtungen davon? Was hat die Stadtbewohner, die zuvor noch voller Eifer und Elan waren für ihre Ingenieurskunst und ihre unbegrenzten handwerklichen Möglichkeiten gewesen sind, dazu gebracht, all dass fortzuwerfen?
Sie hätten sich doch zusammenraufen können, versuchen können, sich zu verstehen. Nur weil ich jemanden nicht verstehe, kann ich doch zusammenarbeiten, wenn ich es will. Daran dürfte es gelegen sein. Sie wollten nichts mehr miteinander zu tun haben. Da dürfte sich so viel Ärger, Wut, Missgunst, Neid aufgestaut haben zwischen den Einwohnern. Vielleicht wollten die Zugereisten, die Fremden, die ausländischen Gastarbeiterinnen und Arbeiter nicht mehr für einen Hungerlohn arbeiten. Wir wissen es nicht. Jedenfalls gibt es keine Einigung, keine Kompromisse, keinen Versuch der weiteren Zusammenarbeit.
Na, dann lassen wir es lieber ganz sein, meinen sie und ziehen fort aus der Stadt. Ich habe auch heute oft den Eindruck, wir leben hier wie in der Stadt Babel mit solchen gegensätzlichen Meinungen. Wer ist für die Probleme im Land und in der Stadt veranwtortlich? Wodurch sind die Teuerungen entstanden? Ist es der halbherzige versuchte Ausstieg aus russischem Gas, eine verfehlte Steuerpolitik, sind es die Abermilliarden, die Asylanten zugesteckt werden? Wer hat Schuld an der Misere? Oder stecken wir überhaupt in der Misere? Überall sehen wir gegensätzliche Anschuldigungen, Schuldzuweisungen, Sündenböcke werden eingekleidet, den Eliten wird der Marsch geblasen, den Linken, den Rechten, denen in der Mitte, denen die sich neu ausprobieren wollen und jenen, die schon lange dabei sind. Haben die Religionen Schuld, die Schulen, die Kindergärten. Wo fängt das Übel an und wo sollte endlich richtig aufgeräumt werden. Ich weiß wo ich aufzuräumen habe: in meiner Wohnung, in meinem Leben, aber da ist eine andere Geschichte.
Die Gesellschaft der Stadt Babel fällt auseinander, weil sie nichts mehr hatten, was sie zusammenhalten konnte. Die Gemeinschaft war zerbrochen. Das Gemeinsame, wozu alle an einem Strang gezogen hatten, war sinnentleert worden. Sie konnten den Turmbau nicht abschließen. Sie stritten über belanglose Dinge. Es gab keine Einigungen mehr, wie man Probleme lösen sollte. Und keiner hörte mehr auf den anderen. Wenn einer forderte doch die Maßnahmen der letzten Epidemie zu besprechen, um künftig bei Krankheitsausbrüchen gut vorbereitet zu sein, meinten die anderen wohl. Das brauchen wir nicht.
Die ein Gruppe propagiert den Zuzug ausländischer Arbeitskräfte, weil als etwas anderes konnten sie die Menschen nicht sehen. Die andere Gruppe wollte die Ausländer dort sehen, wo sie hingehören, im Ausland, wo sie hergekommen sind. Beiden gemein ist der Blick auf den Menschen als Arbeitskraft, als funktionierendes und leistungsbringendes Wesen der Gemeinschaft. Dass mit jedem Menschen, egal ob alt oder jung, Baby oder Greis, ob krank oder gesund, leistungsstark oder leistungsschwach auch ein neues Maß an Kreativität und Leben in eine Stadt kommt, wird nicht gesehen.
Davor, früher soll alles besser gewesen sein, ein paradiesischer Zustand. Alle in der Stadt sprachen nur eine Sprache, die Sprache der Herrschenden. Alle verfolgten nur ein Ziel: die Träume und Machtphantasien der Herrschenden. Keine Bauersfamilie, keine Bäcker wäre auf die Idee gekommen, einen Turm zu bauen, der am Himmel kratzt. Und wie in unseren Beziehungen und Partnerschaften auch gilt, nur weil wir eine Sprache sprechen, heißt das nicht, dass wir einander verstehen. Männer sind vielleicht nicht wirklich vom Mars und Frauen nicht von Planeten Venus, aber sie verhalten sich durchaus manchmal so.
Auch in Babylon fanden sie nicht mehr zueinander. Sie hatten sich, wie man in der Ehe sagt, auseinandergelebt. Da gab es Gruppen, die sich übervorteilt sahen, andere wiederum hatten Angst vor jenen, die weniger Besitz hatten als sie selbst. Die Vorarbeiter und Poliere schüttelten wohl die Köpfe über die Ideen der Ingenieure und Planer. Und die Bauarbeiter stöhnten und ächzten unter den Anweisungen der Vorarbeiter und Ingenieure. Und ei Ingenieure und Architekten versuchten den Stadtvertretern auszureden, welche Vorstellungen sie so an das neue Gebäude hatten. Alle waren sich bei diesem Stadtprojekt in nur einer Sache einig: Sie waren sich uneinig. Also verfiel das begonnene Statussymbol, der Turm zu Babel, wie heute der Bau des Hedy Lamareinkaufszentrums für die Reichen und Schönen. Ein steingewordener Dornröschenschlaf. Eine Geschichte, die so unglaublich klingt, dass sie schon wieder wahr sein könnte.
Damit reiht sich der Turm zu Babel in die Liste der unfertigen Bauwerke, die nicht vollendet wurden und deren Vollendung realistischerweise auch nicht mehr erwartet werden kann. Wir Menschen ändern uns in dieser Hinsicht nicht. Aber ich glaube nicht, dass bei jedem unfertigen Gebäude GOTT die Hände im Spiel hatte. Solche Prestigebauprojekte werden auch in heutiger Zeit geplant, begonnen und aus den unterschiedlichsten Gründen abgebrochen. So gibt es den GOLDIN Finance 117 Turm in der Volksrepublik China, der mit 597 m Höhe und 128 Etagen der derzeit höchste ungenutzte Wolkenkratzer der Welt ist und nie fertig werden soll. In Bangkok steht als Pendant der Sathorn Unique Tower, mit 185 m Höhe und 49 Etagen nur als „Ghosttower“ belächeltes Zeichen des Scheiterns. Und Nordkorea hatte vor, mit dem Ryugyong-Hotell mit 330 m Höhe in Pjöngjang das größte Hotel überhaupt zu bauen. Seit 2002 wartet man eigentlich nur auf die Sprengung des nie beendeten Schandflecks, der in keinen Karten verzeichnet ist. Und weltweit stehen Fernsehtürme und Radiotürme mit 100en Metern Höhe, die nie in Betrieb gegangen sind und nur wegen Kostenknappheit nicht abgebaut werden. All das sind Zeichen des schöpferischen Drangs, unsterblich zu werden, aber dabei stellen sie nur die eigene Unfähigkeit zur Schau. Da stimmen Planung und Wirtschaftlichkeit sowie Vision und Realität nicht zusammen. Die Folge ist eine Geisterstadt, ein „Ghosttower“ oder der Eintrag ins Buch der unbeendeten Gebäude und ihrer Geschichte.
Dabei hatte GOTT nicht nur den Turmbau stören wollen. Auch dass die Menschen damals zu Urzeiten, in einer Stadt gelebt hatten, konnte und wollte GOTT so nicht stehen lassen. Und nach der Legende in der Bibel, die es so auch in anderen Schriften der Babylonier in Andeutungen gibt, habe man sich nicht übers Geld, nicht über einzelne Planungsschritte aber über die Zielvorstellungen zerstritten. Niemand wollte mehr auf andere hören. Ratschläge wurden in den Wind geschlagen. Womöglich hat die einfach Bevölkerung der Stadt und die Bauern vor der Stadtmauer den Aufstand geprobt. „Was, dafür habt ihr Geld? Für einen Turm, den keiner braucht? Aber damit wir unsere Kinder ernähren können und sie dann eine gute Arbeit finden, dafür wollt ihr kein Geld aufwenden?“
Wenn nur noch Prestige zählt und die Fragen: Wie errichten wir uns das höchste Gebäude, das schönste Hotel, das modernste Haus, das beliebteste Stadion, das freundlichste Restaurant, das was auch immer Beste? Ich hab den Eindruck genau das passiert in manchen Gegenden von Wien und von Österreich. Es geht nicht um die Einwohner, die Bewohnerinnen sondern um die kaufkräftige Kundschaft. Bauen wir uns doch einen Luxustempel, noch einen Luxusladen, noch ein Luxushotel, noch mehr Büros mit der modernsten Ausstattung. Wer braucht schon Wohnungen, wenn er eine Villa in der Vorstadt hat?
Die Stadt zerfiel, der Turm brach in sich zusammen, die Menschen zogen alle fort. Wer blieb teilte sich mit den Wölfen und den Tieren der Nacht die restlichen Nahrungsmittel und zog schließlich auch fort. Die Ziegelmauern wurden vom Windsturm verweht und der Zahn der Zeit nagte unaufhaltsam an allen Errungenschaften und Gebäuden.
Es braucht einen neuen Mörtel, damit nicht wieder alles in sich zusammenfällt, mag man meinen. Und bei einem Propheten, der unter dem Namen von Jesaja geschrieben hat, wird genau so eine Vision beschrieben. Jerusalem als geliebte Stadt GOTTES, wurde oft zerstört, von den Assyrern, den Babyloniern, später den Römischen Truppen. Deshalb spricht GOTT beim Propheten namens Jesaja im 54. Kapitel:
„Jerusalem, du leidgeprüfte Stadt, vom Sturm gepeitscht, von keinem getröstet – ich will dich wieder aufbauen. Dein Fundament lege ich aus Saphiren, fest gemauert mit bestem Mörtel.
Für die Brüstung deiner Mauern verwende ich Rubine und für die Tore Kristalle; auch die Mauer soll aus Edelsteinen bestehen.“
Sapphire sind das Fundament, Rubine und Kristalle und Edelsteine sollen die Materialien sein für die Mauern und Tore. Nur das härteste Material kommt für den Neubau in Frage. Auch wenn es eher nach der Herrscherphantasie eines Scheichs oder des nordkoreanischen Machthabers klingt, soll es einfach zeigen. Wenn GOTT eine Gemeinschaft aufbaut, soll sie quasi unzerstörbar sein. Nicht nur die Stadt, sondern alle, die darin wohnen und dort hinzuziehen, sollen sich sicher fühlen wie nie zuvor.
„13 Alle deine Kinder werden von mir lernen, und ich, der HERR, schenke ihnen tiefen Frieden. 14 Dann ist die Gerechtigkeit dein festes Fundament. Du brauchst keine Angst mehr zu haben, denn Kummer und Not dürfen dich nicht mehr bedrücken; nichts wird dich mehr in Schrecken versetzen.“
Wenn mich heute so vieles in Angst und Schrecken versetzt, soll es einmal nicht mehr so sein. Niemand soll Angst haben, von anderen ausgestoßen, erniedrigt, beleidigt, angegriffen zu werden.
Die Kinder werden Frieden lernen … wie weit scheinen wir heute davon entfernt zu sein. Aber wie lange schon halten wir Menschen an dieser Idee fest: den Frieden zu lernen, nicht Kriegführen lernen. In Frieden zu leben, das möchte ich lernen und denke, es steht vielen heute gerade in Österreich gut an.
Dreimal wird der Mörtel in der Bibel erwähnt. Als schlechter Mörtel, der durch Uneinigkeit und Streit zerbröselt. Als guter fester Mörtel, der uns einmal in trauter Gemeinsamkeit zusammenhalten wird. Und der Mörtel wird im apokryphen Buch Jesus Sirach genannt:
Sir 22,17 Ein Herz, durch Überlegung und Einsicht gefestigt, / ist wie schöner Verputzmörtel auf glatter Mauer.
Jesus bringt in seinen Reden dann noch gerne das Fundament eines Gebäudes ins Spiel. Wer sein Haus auf Sand baut oder in einem Sumpfgebiet, darf sich eben nicht beschweren, wenn er oder sie nicht lange Freude daran haben wird. Auf Stein, Fels, einem starken Fundament errichtet, wird das Haus viele Jahrzehnte, Jahrhunderte und manche schaffen auch Jahrtausende stehen.