Lukas 17,11-19
Harald Kluge
11 Auf dem Weg nach Jerusalem zog Jesus damals mit seinen Jüngern durch das Grenzgebiet von Samarien und Galiläa. 12 Kurz vor einem Dorf begegneten ihm zehn Aussätzige. Im vorgeschriebenen Abstand blieben sie stehen 13 und riefen: »Jesus, Herr! Hab Erbarmen mit uns!«
14 Er sah sie an und forderte sie auf: »Geht zu den Priestern und zeigt ihnen, dass ihr geheilt seid!« Auf dem Weg dorthin wurden sie gesund und rein. 15 Einer von ihnen lief zu Jesus zurück, als er merkte, dass er geheilt war. Laut lobte er Gott. 16 Er warf sich vor Jesus nieder und dankte ihm. Es war ein Mann aus Samarien. 17 Jesus fragte: »Waren es nicht zehn Männer, die gesund geworden sind? Wo sind denn die anderen neun? 18 Wie kann es sein, dass nur einer zurückkommt, um sich bei Gott zu bedanken, noch dazu ein Fremder?« 19 Zu dem Samariter aber sagte er: »Steh wieder auf! Dein Glaube hat dich geheilt.«
20 Die Pharisäer wollten von Jesus wissen: »Wann wird denn Gottes Reich kommen?« Er antwortete ihnen: »Gottes Reich kann man nicht sehen wie ein irdisches Reich. 21 Niemand wird sagen können: ›Hier ist es!‹ oder ›Dort ist es!‹ Denn Gottes Reich ist schon jetzt da – mitten unter euch.«
Lukas 17,11-21
Liebe Gemeinde! Wie unendlich dankbar muss dieser eine Mann gewesen sein. Noch eben zählte er in der damaligen Zeit zu den Aussätzigen, jenen, die man vor die Tür setzte. Krank werden können wir alle, aber wenn es uns auch anzusehen ist, dass es uns schlecht geht, geht’s uns gleich noch schlechter.
Mit Hautkrankheiten und Ausschlägen war es zur Zeit von Jesus so, dass die Leute auf Abstand gegangen sind. Denn man kann ja nie wissen, ob der andere vielleicht ansteckend ist. Heute fahren auch viele und immer mehr Menschen mit Maske in der U-Bahn oder Straßenbahn. Es kann ja sein, dass irgendjemand auf meinem Weg eine ansteckende Krankheit hat. Und die Leute mit Hautunreinheiten, mit Ekzemen, Geschwüren wurden kurzerhand vor die Tür der Familie, vor das Tor des Dorfes oder der Stadt gescheucht. Mit den Kranken wollte man nichts zu tun haben, weil es auch die Vorstellung gab: Wer krank ist, hatte Schuld auf sich geladen. Kranke waren Sünderinnen und Sünder, von Gott bestraft für ihre Fehler. Krankheit war lebensbedrohend, weil es neben dem Ausschluss aus der Familie und der Dorfgemeinschaft auch zu einem sozialen Ausschluss kam. Klar suchten sich Kranke deshalb als Gruppen zu organisieren. Allein war man allem ausgeliefert, Wind, Wetter, Räubern, Gaunern, der Obrigkeit, dem Hunger und Durst. Dazu fühlte man sich, wie leider heute auch mitunter, allein, war in seiner Krankheit einsam und verlassen. Wer möchte sich auch mit einer kranken Person abgeben, zuhören und mitansehen müssen, dass es ihr oder ihm immer schlechter ergeht. Wenn Familien mit kranken Angehörigen solche schweren Phasen durchmachen, können sie heute erleben, dass es Hilfsangebote gibt. Frauen und Männer, Seelsorgerinnen und Seelsorger, der psychosoziale Dienst, Menschen, die mit Rat und Tat gerade bei Krankheit den Betroffenen und ihren Familien helfen wollen, gibt es viele. Man muss nur wissen, wo man sie suchen muss. Vor 2.000 Jahren war das anders. Hier hatten die Erkrankten, jene mit Geschwüren im Gesicht, auf den Händen, an den Füßen, am Körper es schwer, sehr schwer. Schlagen und verjagen. Gemieden und vertrieben. So lautete ihnen gegenüber oft die Devise. Weil die Leute Angst hatten vor Krankheit, so wie heute auch. Was du hast womöglich Nesselsucht? Du leider hab ich da jetzt gar keine Zeit. Was du hast womöglich einen Tumor? Da fallen vielen sehr schnell Ausreden ein, um sich den Betroffenen nicht aussetzen zu müssen. Was sagt man auch einem schwer erkrankten Menschen? Vieles von dem, was ich sagen würde, kann ja nur falsch aufgefasst werden…
Also sag ich lieber nichts? Nein. Gerade wenn du jemandem beistehen kannst, biete zumindest deine Hilfe an. Zeig ehrlich, dass du ein offenes Ohr hast, reiche ein Taschentuch, nimm dir Zeit, verschenke Zeit. Deshalb bleibt Jesus stehen, als die 10 Aussätzigen ihm am Wegesrand begegnen. Mit ihrem Aussehen und ihrer Erkrankung bleiben sie in respektabler Entfernung stehen. Und sie sprechen Jesus an. Denn sie kennen ihn von den Erzählungen anderer. Da ist ein Mensch, ein Rabbi, ein Lehrer, der auch Menschen heilt. Jesus aus Nazareth, der Sohn Josefs und Marias, ist anders als die Menschen seiner Zeit. Denn er nimmt sich Zeit. Und es braucht nur wenig Zeit, nur eine Begegnung mit diesem Sohn Gottes reicht aus, um das Gottesreich auf dieser Welt zu entdecken.
Ein Reich, das ganz nach Gottes Geschmack ist, in dem niemand ausgegrenzt wird, weil er erkrankt ist. Ein Reich, in dem die Ärmsten unterstützt, den Hungrigen zu essen gegeben wird. Den Verängstigten treibt er die Ängste aus. Den von Dämonen der Vergangenheit oder von Dämonen der Gegenwart oder jenen der Zukunft Geplagten, reicht Jesus die Hand. Da ist einer, der es ernst nimmt, wenn jemand sagt: „Ich halte das Ganze nicht mehr aus!“ „Ich halte mich nicht mehr aus!“ Diesen legt er ganz sachte und sanft die Hände auf. Mit nur einem Wort treibt er die bösen Geister und alle Furcht und Befürchtungen aus. Deshalb sprechen die 10 Männer Jesus auf offener Straße an. »Jesus, Herr! Hab Erbarmen mit uns!« Sie wissen, er ist „Herr“, ein Herrscher über die guten und bösen Geister. Jesus ist ein Beherrschter, jemand der sich beherrschen kann und nicht wie Männer, Frauen und Kinder dieser Zeit Reißaus nimmt beim Anblick von Krankheit gezeichneter Gestalten. Jesus bleibt stehen, bleibt auf Abstand, achtet die Strecke zwischen sich und jenen Männern. Und er ruft zu ihnen hinüber: »Geht zu den Priestern und zeigt ihnen, dass ihr geheilt seid!« Aber das geht doch nicht. Sie können dich nicht einfach so zu den Priestern gehen. Die werden sie wegjagen, wegprügeln. „Zeigt ihnen, dass ihr geheilt seid!“ Verrückt, wie das geschehen soll. Unfassbar, unvorstellbar. Wie kann dieser Jesus Menschen heilen, sie von Dreck, von Krankheit, von Last befreien, frei machen. Wie macht er das bloß? Egal wie, es ist so. Wie kann Jesus uns Menschen von unserer Schuld befreien? Wie kann Jesus uns Menschen die Sünden vergeben? Total verrückt. Ja, aber das ist es eben.
Jesus verrückt die Vorstellungen und die Art und Weise, wie wir denken. So gesehen verrücken wir die Welt, wenn wir seine Art und seine Weise als Vorbild nehmen. Ja, es war verrückt, diesen kranken Männern auf der Straße auch nur eine Minute seiner Lebenszeit zu schenken. Es ist verrückt, wenn wir wissen, wie wenig Zeit er danach noch haben wird. Aber das war nie die Frage. Was ist richtig und womit hat Jesus seine Zeit verbracht. Wo immer Jesus hingekommen ist, hat er das Seine dazu getan, diese Welt mehr nach den Vorstellungen seines Vaters, Gottes zu gestalten.
„Zeigt euch den Priestern und sagt ihnen, dass ihr geheilt seid!“ Ihr werdet rein gesprochen, als rein deklariert. Menschen können mit euch ganz normal Umgang pflegen. Vielleicht muss man aufpassen, sich nicht anzustecken. Wir sind krankheitsanfällig. Aber gerade als Erkrankte, als Verletzte brauchen wir Nähe und Zuwendung, wie Jesus sie hier zeigt. Klar hat Jesus wenig Zeit, ist er gedrängt, denn Arme wird es immer geben, Kranke wird es immer geben, Unrecht wird es immer geben. Aber das ist nicht die Frage. Sondern frage dich: Wo kann ich Gutes tun? Wem gegenüber kann ich beweisen, dass ich verstanden, begriffen habe, was Jesus und was Gott will. Stehenbleiben, auch bei überraschenden Begegnungen mitunter erkennen, hier findet Wichtiges statt. Wichtig für mein Leben und wichtig für ihr und sein Leben. Die 10 Aussätzigen wurden rein, geheilt auf ihrer Reise zum Tempel. Und einer davon spürt den Drang, sich auch dafür bedanken zu wollen. Der eine, ein Fremder, ein Ausländer, ein Samaritaner dreht um, geht zurück zu Jesus und findet ihn auch und bedankt sich, verneigt sich, sinkt auf die Knie. Denn seine Heilung, wie jede Heilung, die wir erleben dürfen, ist ein Wunder, ist etwas Wunderbares, ein Geschenk. Dieser eine Mann sagt: Danke!
Und Jesus fragt in den Raum: Waren es nicht zehn Menschen, die geheilt worden sind? Wo sind die anderen neun? Warum kommen sie nicht und bedanken sich nicht? Undank ist der Welten Lohn. Das Meiste im Leben tun wir ohne dafür Dank zu bekommen, ohne ein Dankeschön, einen dankbaren Blick, eine dankbare Geste. Wir rackern und arbeiten wie die Irren, tun alles für andere, wie unsere Partnerinnen und Partner, unsere Kinder, unsere Enkel, unsere Großeltern. Und meist erwarten wir hier auch keinen Dank, freuen uns, wenn etwas kommt, aber wir tun es aus reiner Selbstverständlichkeit. Anders ist es hier bei Jesus und bei Gott. Sie haben sich hinuntergebeugt, um uns ins Gesicht zu schauen, GOTT kommt uns mit Jesus ganz nah, ruft zu uns herüber, und ein Wort kann uns heilen, ermutigen, trösten.
Da ist eine Art christlicher Magie im Wort Gottes. Der Heidelberger Katechismus, eine der reformierten Bekenntnisschriften, drückt es vor mehr als 450 Jahren so aus. Am Anfang schildert das Bekenntnis das Elend des Menschen, dann wie Gott uns erlöst und erlösen will, und im dritten Teil spricht das Bekenntnis, wie wir Gott unsere Dankbarkeit zeigen sollen.
Dazu Frage 116 von 129 Fragen
Warum ist für den Christen das Gebet nötig?
Weil es die wichtigste Gestalt der Dankbarkeit ist,
die Gott von uns fordert, und weil Gott seine Gnade
und seinen Heiligen Geist nur denen geben will,
die ihn herzlich und unaufhörlich darum bitten und ihm dafür danken.
Unendlich dankbar dürfen wir sein, dass wir bei allem Druck durch Gottes Nähe Entlastung spüren dürfen. Unendlich dankbar dürfen wir sein, das hier alles mitzuerleben und gerade bei Krisen und Katastrophen einen Beitrag liefern zu können, der wenn auch einen kleinen, so doch einen Unterschied macht. Die zehn Menschen damals zu heilen war ein kleiner Schritt für Gott auf uns Menschen zu. Aber für die zehn Betroffenen hat sich die Welt ab diesem Zeitpunkt anders dargestellt. Ich wünsche uns auch, dass Jesus uns die Augen öffnet, zu uns herüberruft: Steht auf! Geht und zeigt den Menschen, dass ihr geheilt seid, dass ihr getröstet seid, ermutigt, gekräftigt, voller Zuversicht seid. Und erwartet euch keinen Dank, aber seien wir dankbar, wenn wir bedankt werden und danken wir Gott.