Prediger 3, 1-15

„GOTT hat uns die Ewigkeit ans Herz gelegt.“ von Harald Kluge

„1Für alles gibt es eine Stunde, und Zeit gibt es für jedes Vorhaben unter dem Himmel: 2Zeit zum Gebären und Zeit zum Sterben, Zeit zum Pflanzen und Zeit zum Ausreißen des Gepflanzten, 3Zeit zum Töten und Zeit zum Heilen, Zeit zum Einreissen und Zeit zum Aufbauen, 4Zeit zum Weinen und Zeit zum Lachen, Zeit des Klagens und Zeit des Tanzens, 5Zeit, Steine zu werfen, und Zeit, Steine zu  sammeln, Zeit, sich zu umarmen, und Zeit, sich aus der Umarmung zu lösen, 6Zeit zum Suchen und Zeit zum Verlieren, Zeit zum Bewahren und Zeit zum Wegwerfen, 7Zeit zum Zerreissen und Zeit zum Nähen, Zeit zum Schweigen und Zeit zum Reden, 8Zeit zum Lieben und Zeit zum Hassen, Zeit des Kriegs und Zeit des Friedens. 9Welchen Gewinn hat, wer etwas tut, davon, dass er sich abmüht? 10Ich sah, was Gott den Menschen zu tun überlassen hat. 11Alles hat er so gemacht, dass es schön ist zu seiner Zeit. Auch die ferne Zeit hat er den Menschen ins Herz gelegt, nur dass der Mensch das Werk, das Gott gemacht hat, nicht von Anfang bis Ende begreifen kann. 12Ich erkannte, dass sie nichts Besseres zustande bringen, als sich zu freuen und Gutes zu tun im Leben. 13Und wenn irgendein Mensch bei all seiner Mühe isst und trinkt und Gutes genießt, ist auch dies ein Geschenk Gottes.  14Ich erkannte, dass alles, was Gott schafft, endgültig ist. Nichts ist ihm hinzuzufügen, und nichts ist davon wegzunehmen. Und Gott hat es so gemacht, dass man sich vor ihm fürchtet. 15Was einmal geschah, ist längst wieder geschehen, und was geschehen wird, ist längst schon geschehen. Gott aber sucht, was verloren ging.“

Prediger Kapitel 3, 1-15

Liebe Gemeinde! Liebe Schwestern und Brüder!

Alles braucht seine Zeit. Am Freitag haben wir in der Runde mit den Konfirmandinnen und Konfirmanden eine der wichtigsten Fragen fürs Leben gestellt: Was möchte ich noch getan und erlebt haben, bevor ich alt und langweilig bin oder bevor mein Leben vorbei ist. Wir haben Löffellisten, sogenannte Bucketlists erstellt. Sprichwörtlich gemeint ist eine Wunschliste von Dingen, die ich noch machen möchte, bevor ich den Löffel abgebe oder wie die Engländer sagen, den Bucket kicke, mir die Radieschen von unten anschau, die Patsch`n strecke oder über den Jordan gehe, also ins Gras beiße. Das haben dann alle Jugendlichen verstanden.

Während eine Jugendliche gerne mal Höhlen erforschen möchte, will jemand anderer Fallschirmspringen und wieder andere nach Thailand, Japan, oder gleich durch ganz Europa reisen. Eine Studentin der Runde hatte den ganz einfachen Wunsch: Ich möchte mehr lesen und mehr spazieren gehen. Und dazu braucht es eben das Wichtigste Gut der heutigen Zeit: es benötigt ZEIT.

Für alles braucht man Zeit. Und für alles gibt es die passende und eben auch die unpassende Zeit. Wer hat sich nicht gedacht: „Bloß jetzt nicht!“ Wir sind dieser existenziellen Naturkraft ZEIT, diesem unerforschlichen Aspekt des menschlichen Lebens ausgeliefert, mit Haut und Haaren, solange wir noch Haare auf dem Kopf haben. Nichts ist so kostbar wie meine Lebenszeit und doch verschwende ich sie oft, ganz leichtfertig, ohne viel nachzudenken.

Der gute alte Prediger stellt sich für uns einer Mammutaufgabe. Er dekliniert und erklärt auf poetische Art und Weise, was es mit dieser geheimnisvollen Kraft ZEIT auf sich hat. Und die Zeit hat uns alle im Griff. Wir sind der Zeit unterworfen, folgen den Zeichen der Zeit, hören auf die Zeitgeister, die Geister der Zeit. Die Zeit prägt mich. Sie heilt alle Wunden. Kommt die Zeit, dann kommt Rat, sagt man nicht zu Unrecht. Und ich kann Zeit verschenken, sie verschwenden, sie verprassen oder einfach vorbeiziehen lassen.

Was ist also die „Zeit“? „Was man an der Uhr abliest“, meinte Albert Einstein. Für alles im Leben brauche ich Zeit. Und es gibt die guten Zeiten und die schlechten Zeiten. Für alles gibt es die passende Zeit: Zeit zum Gebären und Zeit zum Sterben. So sind die wunderbarsten Zeiten bei mir gewesen, als ich bei den Geburten meiner drei Töchter, Penny, Ronja und Ruth, dabei gewesen bin. Das ist wie eine Zeitschleife, ein Geschenk, verpackt mit großer Zeitschleife versehen. Diesen Moment, Zeitpunkt, als ich die Töchter jeweils zum ersten Mal im Arm halten durfte, hat sich mir tief eingeprägt. Am schlimmsten, schlechtesten waren die Zeiten, zu denen ich zugegen war, als jemand gestorben war. Ob auf einer Krankenstation, im diakonischen Praktikum, kurz danach beim Gespräch mit Angehörigen von Verstorbenen.

Zeit zum Pflanzen und Zeit zum Ausreißen des Gepflanzten, führt der Prediger als nächstes an. Und ich muss zugeben, das Einzige, was ich pflanze, sind andere Leute. Aber Sie werden wissen, wovon der Prediger hier spricht. Irgendwann gibt es den Zeitpunkt, zu dem ich das Gepflanzte auch wieder ausreiße. In vierzehn kurzen Sätzen beschreibt der Prediger das ganze Leben und alles, was es für uns ausmacht. Alle Erfahrungen und Erlebnisse sind hier enthalten, alles was uns das Leben so schön und erfreulich macht, aber auch alles, was es unerträglich und hässlich werden lässt. Wir sind Geschüttelte, gebeutelt von der Zeit und dem, was in dieser Zeit geschieht. Wir bewegen uns in diesem Gebilde, das mit der Zeit entsteht.

Sind wir alle nur von der Zeit Getriebene? Sind wir der Zeit ausgeliefert mit Haut und Haaren, mit jeder Faser und jeder Zelle unseres Körpers? Sind wir in den Zellen, die immer neu gebildet werden und immer wieder absterben, gefangen? Was haben wir davon, dass wir überhaupt etwas tun? Welchen Gewinn hat, wer etwas tut? Welchen Gewinn hat, wer etwas tut, davon, dass er sich abmüht? GOTT hat uns dieses Leben geschenkt und damit ZEIT geschenkt. Und wir, wir schuften und rackern, und lernen und sind folgsam, gehen dem Tagwerk nach und dem Nachtwerk, geben uns mehr oder weniger Mühe, wollen Ziele erreichen, ackern und malochen. Wozu das alles? Für Geld. Noch mehr Geld. Einfluss und Macht. Anerkennung und Wertschätzung. Um Folge zu leisten und Aufträge zu erledigen. Um zu überleben und anderen das Überleben zu ermöglichen. Warum auch immer, wir tun es, und bringen uns und unsere Zeit mit ein.

GOTT hat das alles so angelegt, meint der Prediger. „Ich sehe, und wir alle sehen, was GOTT uns Menschen zu tun aufgegeben hat.“ Viel, sehr viel ist zu tun. „Alles hat GOTT so gemacht, dass es schön ist zu seiner Zeit.“ Und damit kommt für mich immer wieder, wenn ich es lese, ein so wunderbarer Gedanke mit ins Spiel. Egal, was geschieht, ob es für dich persönlich wunderbar oder absolut schrecklich sein mag, es ist so zu dieser und nur zu dieser Zeit. Morgen kann es schon ganz anders sein. Gestern war es sowieso absolut unterschiedlich.

Wir leben im Hier und Jetzt. Das ist für mich eine zentrale Botschaft, ein so tröstlicher Gedanke, der immer wieder in der Bibel geäußert wird. Was auch immer gerade geschieht, ist für mich unendlich bedeutsam zu diesem Moment und zwar nur zu diesem Moment. Meine Tochter Ruth hat den tollen Spruch bei uns in der Familie geprägt. Wenn sie in einer Woche etwa zum Zahnarzt gehen muss. „Das ist die Angelegenheit der Ruth in einer Woche.“ Es ist nicht das Problem der Ruth von heute. Wir leben immer im Hier und Jetzt und nur im Hier und Jetzt. Was vorbei ist, ist längst Geschichte, nicht unerheblich, nicht unwichtig, aber Geschichte, die ich nicht ändern kann. Was morgen geschieht, kann ich nur morgen ändern, nicht jetzt. Denn niemand von uns weiß, was passieren wird. Wird Putin Interkontinentalraketen oder Mittelstreckenraketen auch weiterhin einsetzen? Werden sich die 197 Staaten über die Klimaziele einig werden und werden wir hier in Österreich und in Wien diese Vorgaben dann auch umsetzen und damit die schlimmen Effekte des fortschreitenden Klimawandels eingrenzen können? Wird uns in den kommenden Tagen eine Krankheit erwischen, oder werden wir gesund, werden wir zu Opfern eines Unfalls oder ungewollt zu Tätern? Wird es in den kommenden Tagen Schnee auch hier in Wien geben und werden die drei verhandelnden Parteien eine Regierung zusammenbringen? Wie werden die Wahlen in der Steiermark heute ausgehen? Nicht unwichtige Fragen, aber wir müssen abwarten, es muss Zeit verstreichen, bevor wir die Antworten kennen.

„Auch die ferne Zeit hat er den Menschen ins Herz gelegt, nur dass der Mensch das Werk, das Gott gemacht hat, nicht von Anfang bis Ende begreifen kann.“

Hat es deshalb vielleicht gar keinen Sinn, nach dem zu fragen, was erst noch geschehen wird oder eben auch nicht? Wir können gar nicht anders als uns ständig auszumalen, wie die Zukunft ausschauen könnte. GOTT hat uns Menschen die Frage nach der „fernen Zeit“, in anderen Übersetzungen schreiben sie „Ewigkeit“, ins Herz gelegt. Die Zukunft war, ist und bleibt für immer ein Herzensanliegen von uns. Wir wollen eine bessere Zukunft herbeisehnen und deshalb zerbrechen wir uns darüber ständig den Kopf: Wie kann das Morgen aussehen? Was kann es morgen für Probleme geben? Die „Ewigkeit“ ist eine Kategorie für GOTT. Wir spielen in dieser Liga nicht mit, schauen höchstens zu. Und wir wissen, nichts hält ewig, nichts ist für die Ewigkeit. Und die Menschen damals zur Zeit des Predigers haben unter dem Begriff “OLAM“, „ewig“, auch nicht das gemeint, von dem wir sprechen. Ewig als etwas, das nie aufhört, für immer besteht, immer schon war. Wir fragen nach dem „EWIGEN“, meint in der Sprache der Hebräerinnen von damals: das, was noch nicht passiert ist, was verborgen ist, nicht zu 100% voraus berechenbar, unvorhersehbar, unkalkulierbar und in gewisser Weise auch unvorstellbar ist.

Auch die Künstliche Intelligenz und alle Anstrengungen werden uns wahrscheinlich nie einen kompletten Überblick über das Vergangene und das Zukünftige geben können. Wir werden nie begreifen, was GOTT gemacht hat, wo GOTT gewirkt hat, was sich in der Welt abgespielt hat und abspielen wird.  Aber wir können nicht anders, als immer wieder nach der Zukunft zu fragen, weil es in unserer DNA, in unserem Menschsein so angelegt ist. Wenn Jesus den Menschen damals ausrichtet: „Sorgt euch nicht, was der morgige Tag bringen wird. Seht die Lilien auf dem Felde und seht die Vögel am Himmel.“  Da möchte er aus uns Menschen keine verantwortungslosen und nur auf den Moment fixierten Individuen machen, die allein nach ihrem eigenen egoistischen Genuss aus sind. Aber nur im Morgen zu leben, sich nur um das Morgen zu sorgen, ohne die Schönheit von Natur und Tieren und Menschen auszukosten, kann krank machen.

„Ich erkannte, dass sie nichts Besseres zustande bringen, als sich zu freuen und Gutes zu tun im Leben.  Und wenn irgendein Mensch bei all seiner Mühe isst und trinkt und Gutes genießt, ist auch dies ein Geschenk Gottes.“

Ein wenig abschätzig spricht hier der Prediger von den anderen und schreibt: „Ich seh, sie bringen nichts Besseres zustande als sich zu freuen und Gutes zu tun.“

Was braucht es mehr im Leben? Und wenn wir neben aller Mühe auch essen und trinken und Gutes genießen, dann sind das alles GOTTES Geschenke. Auch Jesus hat sich die Füße mit Öl salben lassen, hat die Nähe und die Berührung einer Frau genossen. Jesus hat getrunken und getanzt und gegessen und gefeiert und die Zeit und jeden Moment mit seinen Freunden, den Menschen, die ihm gefolgt sind, und jenen, die ihm begegnet sind, ausgekostet. Auch Jesus hat viel Mühe auf sich genommen, hart gearbeitet, ist müde und abgeschlagen abends ins Bett gefallen oder hat doch schnell noch ein paar Kinder und deren Eltern gesegnet. Er hat das Gute genossen und gelebt, wie GOTT es vorhergesehen hatte.

14Ich erkannte, dass alles, was Gott schafft, endgültig ist. Nichts ist ihm hinzuzufügen, und nichts ist davon wegzunehmen. Und Gott hat es so gemacht, dass man sich vor ihm fürchtet. 15Was einmal geschah, ist längst wieder geschehen, und was geschehen wird, ist längst schon geschehen. Gott aber sucht, was verloren ging.“

Ich fürchte mich vor dem Leben und manchmal fürchte ich mich schon vor dem Sterben, vor dem eigenen, aber noch mehr fürchte ich mich vor dem Sterben derer, die mir ganz nah stehen, die ich unendlich lieb habe. Was passiert, was Gott schafft, ist endgültig und damit bleibt es auch gültig. Alles hat seinen Wert und behält seinen Wert und hat auch weiterhin Bedeutung. Für immer und ewig und alle Zeiten. Aber warum spricht dann der Prediger hier davon, dass alles so eingerichtet ist, dass wir uns vor GOTT fürchten? Weil wir eben die Zukunft nicht kennen, nicht wissen, wie es mit uns und mit anderen zu Ende gehen wird. Das Verborgene, das Unbekannte, das in der Zukunft Liegende kann mir ganz schön Angst machen. Wir Menschen schwimmen in einer Art von Zeitstrom, müssen manchmal heftig kämpfen, um an der Oberfläche zu bleiben, treiben manchmal gemächlich dahin, torkeln durch so einige Stromschnellen, und haben manchmal den Eindruck, dass sich nichts bewegt. Gegen diesen Zeitstrom zu schwimmen scheint aussichtslos zu sein. Alles ist vergangen und der Weg des Stroms und die Strömung sind bereits jetzt fix. Aber wir haben halt keine Ahnung, was uns hinter der nächsten Biegung erwarten wird.

Nur sollten wir uns in diesem Zeitstrom verlieren, die Orientierung verlieren, drohen ganz unterzugehen, dann so schließt der Prediger diese Gedanken ab, dann sucht uns GOTT. Denn GOTT sucht das Verlorene, die Verlorenen, die Schafe und die Münzen und die Söhne und die Töchter. Und auch das ist vorherbestimmt.