Réka Juhász
Predigtreihe “Die Jünger Jesu”
Teil III: Simon, der „Edelstein“ 
Matthäus 16, 13-19

Im Zentrum der heutigen Predigt steht Petrus.
Matthäus und Markus berichten über seine Berufung sehr knapp: überzeugt von der Botschaft Jesu hinterließ er seine Netze und stellte sich in die Nachfolge Jesu.
Lukas berichtet über die erste persönliche Begegnung zwischen Jesus und Petrus etwas ausführlicher und bettet die Berufung in eine Wundergeschichte hinein.
In die Geschichte des wunderbaren Fischfangs und mit der Berufung zum Menschenfischer.
Heute hören wir einen weiteren bekannten Dialog zwischen Jesus und Simon Petrus aus dem Matthäus-
Evangelium.

„Kommt, folgt mir nach, ihr werdet Menschenfischer!“ Und Andreas und Simon verließen ihre Netze und folgten Jesus nach.

„Menschenfischer“ – ich denke, der Begriff klingt heute eher fragwürdig. Wir fischen nicht, um die Fische zu retten, sondern um die Fische zu essen…

Doch hier ist mit dem Begriff „Menschenfischer“ das Gegenteil gemeint. Menschen einzufangen, um sie zu retten, um ihnen zu helfen, damit sie nicht ins falsche Netz gelangen. Ins Netz des Fundamentalismus, oder des Radikalismus, oder ins Netz der Nihilisten ohne Zukunftsperspektive…

Die Berufung zum „Menschenfischen“ gilt heute nicht nur für die Einzelnen, sondern für uns als Gemeinde, als Kirche ebenso. Aber hier geht es nicht nur darum, Menschen einzufangen für unseren eigenen Zweck, damit die Zahl der Mitglieder wächst – sonst wären wir ein religiöser Verein und keine Kirche. Wir, Menschen, die sich zum dreieinigen Gott bekennen, wir sind von ihm beauftragt worden, dass wir offen bleiben für die Hilferufe anderer leidender, orientierungssuchender Menschen.

Und manchmal sind es gerade wir, die nach Orientierung und Halt suchen, nach einer Gemeinschaft, wo wir gemeinsam über Gottes Wort, über sein Wirken und seine Gegenwart nachdenken können.

Jesus begann sein Wirken auch in einer kleinen Gemeinschaft. Nicht nur einzelne Mitarbeiter beauftragte er, seine Lehre, seine Botschaft weiterzugeben, sondern er führte diese seine Mitarbeiter in einer Gemeinschaft zusammen. Die 12 Jünger Jesu waren wie „lebendige Bücher“, die Jesus die Weitergabe seiner Lehre anvertraut hat.

Zu diesem engen Jüngerkreis gehörten 12 Männer –  natürlich gab es auch Frauen, die ihm nachfolgten, mit denen er in Kontakt stand. Jesus knüpfte mit dieser Zahl – 12 – seine Arbeit sehr eng an die Geschichte seines Volkes, seines Stammes an. Die 12 Jünger Jesu stehen symbolisch für die Fortsetzung dieser Geschichte Gottes, dieser Geschichte JHWH-s mit seinem Volk. Mit dem Volk, das Moses aus Ägypten herausführte und in das eigentliche Stammesgebiet der Vorfahren (Abraham, Jakob, Juda) brachte. Abraham, der Stammesvater und Begründer des monotheistischen Glaubens hatte 12 Urenkel und diese bildeten die 12 Stämme des Volkes Israel.

Die Bibel nennt die 12 Jünger Jesu Apostel. Dieser Begriff weist daraufhin, dass die Jünger Jesu einen ganz besonderen Auftrag zu erfüllen hatten: sie wurden ausgesendet, gesendet zu anderen Menschen, damit sie ihnen die Lehre und das Werk Jesu weitergeben und vorleben.

In diesem Sinne ein Jünger oder Jüngerin Jesu zu sein ist mehr als der Glaube an Gott.

Die Nachfolge Jesu besteht nicht einzig und allein darin, dass jemand an Gott glaubt. Die Nachfolge ist viel mehr. Nachfolge heißt, sich in den Dienst Gottes zu stellen. Sein Wort zu verstehen und weiterzugeben, und danach zu leben.

In der heutigen Predigt geht es um den Jünger Simon, mit dem Beinamen Petrus.

Über sein Bekenntnis zu Jesus und über einen besonderen Auftrag hören wir aus dem Evangelium nach Matthäus:

13Jesus kam in die Gegend von Cäsarea Philippi. Er fragte seine Jünger: »Für wen halten die Leute eigentlich den Menschensohn?« 14Sie antworteten: »Manche halten dich für Johannes den Täufer, andere für Elija. Wieder andere meinen, dass du Jeremia oder einer der anderen Propheten bist.«15Da fragte er sie: »Und ihr, für wen haltet ihr mich?«16Simon Petrus antwortete: »Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!«17Jesus sagte zu ihm: »Glückselig bist du, Simon, Sohn des Johannes! Diese Erkenntnis hast du nicht aus dir selbst, sondern von meinem Vater im Himmel.18Und ich sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felswerde ich meine Gemeinde bauen. Nicht einmal die Macht des Todeswird ihr etwas anhaben können.19Ich werde dir die Schlüssel zum Himmelreich geben: Was du auf der Erde für gültig erklärst, wird auch im Himmel gelten. Was du nicht für gültig erklärst, wird auch im Himmel nicht gelten.«

Simon Petrus stammte aus dem Stamm Simon, es war eigentlich sein Familienname. Den Beinamen Petrus, auf aramäisch Kephas, bekommt er von Jesus (Mk 3,16).

Wir erfahren über ihn zwei Details: Er war Fischer und er war verheiratet. Er lebte mit seiner Familie in Kafarnaum. Hier übernachtete einmal Jesus, als er in der Gegend unterwegs war. In einer Geschichte heilt Jesus die Schwiegermutter von Petrus. In den Paulusbriefen (1 Kor 9,5) taucht auch seine Frau als Jüngerin Jesu auf, die ihren Mann auf seine Missionsreise nach Korinth begleitete. Vermutlich waren die beiden als Missionare tätig.

Petrus war der „Wortführer“ der Jünger – stellvertretend für die ganze Gruppe stellt er Jesus sensible Fragen: wie oft kann man vergeben?; was ist der Verdienst derer, die Jesus folgen? Und später befragt er als erster den Auferstandenen Jesus…

Doch in jener Nacht versagt er: Vor einer Magd leugnet er, dass er Jesus je gekannt hätte. Zugunsten Petrus soll aber ein Detail dieser Geschichte erwähnt werden: er ist im Hof des Hohenpriesters geblieben – während die anderen flüchteten.

Simon Petrus – ausgerechnet er, der feige Jünger, bekommt so einen großen Auftrag von Jesus? Den Schlüssel zum Himmel?

Liebe Gemeinde,

Ich habe zusätzlich zum Predigttext zwei „Petrus-Darstellungen“ heute mitgebracht, die auch nicht gerade die schillernde Seite des Petrus betonen, als Türsteher vor dem Himmel mit Schlüssel in der Hand, sondern eher die schwierige Seite von Petrus hervorheben.

Petrus, Judas, Johannes der Evangelist
Bild: Alberto Fernandez Fernandez cc-by-sa 3.0 cc-by 2.5
http://www.minoritenkirche-wien.info/daten/mkschatze.htm

Werner Tiki Küstenmacher: Tikis Evangelisch-Katholisch Buch. 1996. S.4.

Denn im Kontext seines ganzen Lebens und Wirkens erscheint uns die Gestalt des Apostels Petrus gerade nicht als gradlinig. Es ist ein Lebensweg, bzw. ein „Jüngerweg“ voller Frustration, Scheitern und Streit. Simon Petrus ist eine schillernde, aber widersprüchliche Gestalt. Die Berufung auf seine Autorität spaltet das Christentum heute noch: wer ist doch der legitime, berechtigte Nachfolge Petri?

Und somit begann die Geschichte der großen Diskussion darüber: wer vertritt den wahren Glauben…

Das 1. Bild ist ein Ausschnitt aus dem berühmten Bild von Leonardo da Vinci. Die Szene beim letzten Abendmahl zeigt Petrus mit einem Dolch in der Hand. Einen Dolch, den er einige Szenen später im Garten Gethsemane gegen einen Soldaten verwendet und ihm die Ohrenmuschel abschneidet.

Er will die Wahrheit wissen und er ist bereit für die Gerechtigkeit zu kämpfen. Hätte Petrus gleich, während dem Mahl erfahren, wer der Verräter sei, hätte er ihn sogar getötet. Da Vinci setzte ironischerweise Judas direkt neben Simon Petrus … Simon war ein spontaner Mensch.

Das zweite Bild stammt von dem Karikaturisten und Pfarrer Tiki Küstenmacher. Auf dem Bild sind Petrus und Paulus zu sehen beim Apostelkonzil.

Hier sehen wir ihn inmitten einer Diskussion über Judenchristen und Heidenchristen.

Simon Petrus war davon überzeugt, dass die Beschneidung ein wichtiger Schritt auf dem Weg des Glaubens sei. Die Heiden sollten in diesem Sinne zuerst Juden werden und die Reinheitsgebote kennenlernen und befolgen; erst dann können sie getauft und in die christliche Gemeinschaft aufgenommen werden.

Beide Bilder stellen eher einen in Gedanken versteinerten Jünger dar, als einen Felsen, auf dem Jesu seine Kirche bauen kann… und ausgerechnet er, der Jünger voller Widerspruch, erhält die „Schlüssel zum Himmel“? Ausgerechnet er, Simon Petrus bekommt diesen besonderen Auftrag von Jesus, der ihn später dreimal verrät und leugnet, mit ihm je in Verbindung gewesen zu sein?

Was für ein Widerspruch, was für eine krumme Gestalt ist dieser Jünger?

Warum schreibt Gott eigentlich immer wieder Geschichte mit schwachen und bei genauerem Hinsehen mehr als fragwürdigen Menschen?

Petrus der Fels – Über seinen Namen fand ich einen sehr interessanten Beitrag im RGG-Lexikon. Hier lesen wir folgendes:

Petrus/Kephas: Die ursprüngliche Bedeutung des Beinamens dürfte „Edelstein“ gewesen sein. Die Verschiebung zu „Fels“ als Fundamentgestein spiegelt bereits eine ekklesiologische Entwicklung der nachösterlichen Zeit. Dass Jesus den Simon gleich bei seiner Berufung Kephas/Petros genannt habe, ist unwahrscheinlich.

Während den Jahrtausenden ist der Name „Petrus“ ein Programm geworden. Ja eine starre Institution… Dieses Programm machte aus dem WORTFÜHRER des Jüngerkreises wiederum einen Stein des Anstoßes.

In der Ökumene scheinen wir die originale Bedeutung des Petrus als Edelstein wieder zu entdecken… besonders wenn wir miteinander ökumenischen Gottesdienst und Gemeinschaft feiern.

Simon der Edelstein.

Simon steht für Menschen, die vor sich selbst, vor den Niederlagen, vor dem Zweifel, vor Krisensituationen nicht zurückschrecken. Sondern sich von Gott dazu formen lassen, wozu Gott sie beruft. Denn wie entstehen Edelsteine? Unter großem Druck und unter hohen Temperaturen… Wenn das so ist, dann ist der temperamentvolle und erprobte Petrus wirklich ein Edelstein. Ein Edelstein des Glaubens. Und ausgerechnet in diesem menschlichen Scheitern und Schwachheit zeigt sich die Kraft Gottes. Gott ist alles möglich. Nur wir kategorisieren die Menschen gerne in gute und ungute.

Aber Gott ist es möglich, aus dem Stein des Anstoßes einen Edelstein, einen Eckstein des Glaubens zu formen.

Denn Simon Petrus nimmt sein Scheitern an und somit die Herausforderung daran zu wachsen – und er findet immer wieder Kraft zum Neuanfang, zur Versöhnung mit sich selbst und auch mit seinen Mitmenschen.

Steht er nicht stellvertretend für Menschen, die andere schnell verurteilen? Die nur eine Seite der Gerechtigkeit sehen? Für Menschen, die nur eine Wahrheit kennen oder sogar die Wahrheit für sich beanspruchen? Wozu das führt, sehen wir tagtäglich in den Nachrichten.

Doch sein Stolz lässt in jener Nacht nach, in der er Jesus dreimal leugnet…

Dennoch, sein Dienst als Jünger endet nicht bei diesem Scheitern. Er wird der Erste sein, dem der auferstandene Jesu erscheint. So wird Petrus in seinem Dienst immer wieder gestärkt und bestätigt: als Augenzeuge und Diener des Wortes von Anfang an.

Er wurde im wahrsten Sinne des Wortes zum Menschenfischer. Denn Menschenfischer zu sein baut auf die Eigenschaft des Fischers:

Keine Angst zu haben vor stürmischen Zeiten, sich der Herausforderung stellen – und gleichzeitig auf Gottes Gegenwart und Hilfe vertrauen auch mitten in der Krise.

Der Menschenfischer braucht viel Geduld und oft bleibt das Netz leer, oft scheint die Arbeit umsonst gewesen zu sein – wie oft war dies auch die Erfahrung des Simon Petrus… er starb als Märtyrer – vermutlich in Rom, unter den blutigen Christenverfolgungen von Kaiser Nero (65 n. Chr.).

Aber was bedeuten dann die Schlüssel des Himmels, des Himmelreiches?

Und nur Petrus verfügt über diese?

Im Kontext des Neuen Testaments hat die Kirche und in ihr wir alle, liebe Gemeinde, diese Schlüssel in der Hand. Alle, die einen Christus-zentrischen Glauben haben, alle die sich zum Christus bekennen. Denn im letzten Buch der Bibel, in der Offenbarung, wird die Schlüsselgewalt allen Jüngern zugesprochen. Das Bild von den Schlüsseln, sowie die Formulierungen von Binden und Lösen beschreiben die Wirkung der Lehre Jesu. „Binden“ und „lösen“ bedeutet nicht anderes als verbieten und erlauben – und das alles im Sinne der Lehre Jesu.

An dieser Textstelle wird Petrus die Vollmacht der Lehre und Leitung zugesprochen, und mit ihm der Gemeinde und der ganzen Kirche, die sich auf ihn beruft. Petrus wird hier in einen besonderen Dienst eingesetzt. Und dabei ist er nicht als besonders vorbildlich dargestellt, sondern eher als der, an dem Missverständnis und Kleinglauben des Jüngers, aber auch Jesu rettendes Eingreifen exemplarisch für alle Jünger erscheinen.

Liebe Gemeinde, wie ermutigend ist diese Ehrlichkeit der Bibel immer wieder. Die Bibel will uns keine unerreichbaren Ideale stellen. Sondern im Gegenteil: Sie beweist durch die Schwachheit des Menschen die Kraft Gottes, die Mauern und Grenzen übersteigt. Die den Stein des Anstoßes – wie der impulsive Jünger Simon – in Kefas, einen Edelstein, in einen starken Felsen verwandeln kann.

Amen