Réka Juhász:
Predigtreihe “Die Jünger Jesu”
Teil I: Die Jüngerschaft
Mt 7, 13-20
Liebe Gemeinde,
nach dem letzten Palmdonnerstag, an dem mein lieber Kollege Pfarrer Kluge und ich uns sehr intensiv mit der Szene des letzten Abendmahls beschäftigt haben, kam die Idee zu einer Predigtreihe über die Jünger Jesu. Im Gegensatz zu der katholischen Tradition haben wir Evangelische keine besonderen Gedenktage, an denen regelmäßig das Leben und Werk einzelner besonderer Persönlichkeiten der christlichen Kirche vorkommt.
Deshalb scheint uns eine Predigtreihe sinnvoll zu sein – denn der christliche Glaube, der gelebte Glaube an Jesus Christus wird am originellsten durch die Geschichten mit den und über die Jünger Jesu dargestellt im Neuen Testament. Wir können durch diese Geschichten über uns selbst, über Jesus, über Gott, über gelebten Glauben und über gelebte Gemeinschaft viel erfahren und lernen.
So werden heute die Kinder und Jugendlichen beim Kigo-Teego von Schwester Elisabeth auch über die Berufung der Jünger*innen hören.
Und auch wir wollen uns heute diesem spannenden und herausfordernden Thema widmen: die Jüngerschaft, die Nachfolge – was hat es mit der Nachfolge auf sich?
Woraus besteht eigentlich die Jüngerschaft heute?
Gilt für uns auch noch der Missionsauftrag: „gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker“ oder ist dieses Kapitel schon abgeschlossen – nachdem unter diesem Begriff „Mission“, „Missionieren“ – auch so vieles in eine falsche Richtung gelaufen war? Denken wir nur an die Kreuzzüge, die heute noch für viele Kirchengegner ein schweres Argument gegen die Kirche sind, oder an den kirchlichen Widerstand in der nationalsozialistischen Zeit.
Wie sieht die Jüngerschaft, die Nachfolge heute aus? Wie sieht es bei mir aus? Halte ich mich für eine*n Nachfolger*in? Wie sieht es bei uns als Gemeinde aus: leben wir im Sinne der Jünger und Jüngerinnen Jesu?
Wenn ich mir das Leben und auch Leiden der ersten Jünger und Jüngerinnen Jesu anschaue, dann denke ich zunächst an drei Bereiche, durch die für mich dieser Begriff NACHFOLGE Gestalt annimmt:
Nachfolge ist: Gelebter Glaube – gelebte Gemeinschaft – gelebte Verantwortung (verantwortungsvolles Handeln)
Jünger und Jüngerin Jesu zu sein, ist kein Spiritismus, kein Wohlfühlglaube. Aber auch keine Flucht in eine andere, spirituelle Welt oder Lebenseinstellung.
Gelebter Glaube
Nachfolge im Sinne Jesu beginnt bei dem richtigen Gottesbild. Das richtige Bild von Gott ist kein Götzenbild, kein Bild von einem Abgott, den ich in meinen Dienst stellen kann. Denn darin besteht der eigentliche Unterschied zwischen Gottesdienst und Götzendienst. Beim Gottesdienst bleibe ich offen für das Wort Gottes, ich höre, was Gott mir zu sagen hat, was Gott mit mir vorhat. Bei einem Götzendienst gehe ich fest von der Überzeugung aus, dass ich den Götzen, den Abgott in meinen Dienst stellen kann. Ich kann eine Gottheit „milde“ stimmen, und sie wird meine Wünsche erfüllen.
Den lebendigen Gott kann man nicht in einem Bild erfassen, nur als ein strafenden, oder einen wunscherfüllenden Gott, oder nur als einen unsichtbaren Geist. Gott ist in Jesus Christus sichtbar geworden. Dieser Gott spricht mich, den Menschen, an. Er ruft mich in die Nachfolge Jesu.
Was ist also Nachfolge?
Vor 90 Jahren wurde sogar ein Buch mit diesem Titel als politisch gefährlich eingestuft: einige von Ihnen kennen es bestimmt oder haben von dem Buch „Nachfolge“ gehört. Dietrich Bonhoeffer, einer der großen evangelischen Theologen neben dem reformierten Karl Barth, gab diesen Titel seiner Bibelauslegung über die Bergpredigt 1937.
Im Dritten Reich wurde das Buch „Nachfolge“ als authentische Bezeugung christlichen Glaubens verstanden und daher als KAMPFSCHRIFT gegen die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft eingestuft.
Erlauben Sie mir heute aus dieser sehr sorgfältig vorbereiteten, durchdachten und sehr schön und prägnant formulierten Schrift Bonhoeffers zu zitieren!
„Der Ruf (Jesu in die Nachfolge) ergeht, und ohne jede weitere Vermittlung folgt die gehorsame Tat des Gerufenen. Die Antwort des Jüngers ist nicht ein gesprochenes Bekenntnis des Glaubens an Jesus, sondern das gehorsame Tun. (…) Der Ruf in die Nachfolge ist also Bindung an die Person Jesu Christi allein… ein Christentum ohne Nachfolge ist immer ein Christentum ohne Jesus Christus; es ist Idee, Mythos. Ein Christentum, in dem es nur den Vatergott, aber nicht Christus als lebendigen Sohn gibt, hebt die Nachfolge geradezu auf. Hier gibt es Gottvertrauen, aber nicht Nachfolge. Nachfolge ohne Jesus Christus ist Eigenwahl eines vielleicht idealen Weges, vielleicht eines Märtyrerweges, aber sie ist ohne Verheißung.” – so Bonhoeffer.
Liebe Gemeinde,
gelebter Glaube, gelebter christliche Glaube heißt also eine Bindung an die Person Jesu. Bonhoeffer warnt: auch wenn es nach unserem modernen Verständnis etwas veraltet klingt, wir dürfen Jesus nicht nur als einen Lehrer, als einen Rabbi betrachten, sondern in ihm den menschgewordenen Gott sehen und erkennen. Und darüber hinaus durch ihn, durch sein Kreuz und durch seine Auferstehung Gottes Verheißung wahrnehmen: dass er in unserem Leben gegenwärtig ist, dass er da ist.
Was dieser Ruf in die Nachfolge bewirkt, darüber schreibt Bonhoeffer im Folgenden:
„Nachfolgen heißt bestimmte Schritte tun. Bereits der erste Schritt, der auf den Ruf hin erfolgt, trennt den Nachfolgenden von seiner bisherigen Existenz. So schafft sich der Ruf in die Nachfolge sofort eine neue Situation. In der alten Situation bleiben und nachfolgen schließt sich aus. Das war zunächst ganz sichtbar so. Der Zöllner mußte den Zoll, Petrus die Netze verlassen, um hinter Jesus herzugehen. Es hätte ja nach unserm Verständnis auch damals schon durchaus anders sein können. Jesus hätte dem Zöllner eine neue Gotteserkenntnis vermitteln und ihn in seiner alten Situation lassen können. Wäre Jesus nicht der menschgewordene Sohn Gottes gewesen, so wäre das möglich. Weil aber Jesus der Christus ist, darum mußte es von vornherein deutlich werden, daß sein Wort nicht eine Lehre, sondern eine Neuschöpfung der Existenz ist.“
Bonhoeffer betont, dass der Mensch, der sich vom Gott angesprochen weiß, der den Ruf in die Nachfolge Jesu hört, in seinem Leben nicht so weitermachen kann, als wäre nichts passiert. Die Sichtweise eines glaubenden Menschen hat Auswirkungen auf sein Leben.
Denn die Gemeinschaft mit Gott durch den Glauben verändert seine ganze Sichtweise, ja seine ganze Existenz. Menschen, die alles im Leben, sowohl die Tiefen als auch die Höhen des Lebens, aus Gottes Hand nehmen können und sich durch die Botschaft Jesu immer wieder ermutigen lassen, die werden fähig sein, ihre Existenz nicht von den Umständen abhängig zu machen, sondern von dem Umstand, dass Gott für sie da ist. Sie werden dann fähig sein zum verantwortungsvollen Handeln und zum verantwortungsvollen Umgang mit der ihnen geschenkten Zeit und ihren Möglichkeiten.
Eine derartige „Neuschöpfung der Existenz“ hat große Auswirkungen vor allem auf das Miteinander.
So kann gelebte Gemeinschaft entstehen.
Wie bei den Jüngern und Jüngerinnen und Jesus.
Nun bevor wir die Gemeinschaft der ersten Jünger idealisieren würden, müssen wir auch bedenken, dass diese Gemeinschaft keine Gemeinschaft ohne Konflikte, Meinungsunterschiede und Krisen war.
Gelebte Gemeinschaft
Keine andere Szene zeigt wie das letzte Abendmahl, wie unterschiedlich Jesu Jünger waren: Menschen aus verschiedenen Lebensumfeldern (einige waren Fischer wie Andreas, Petrus, Johannes; andere waren Zöllner, wie Matthäus, wiederum andere, wie der Apostel Paulus, stammten aus dem Kreis der Pharisäer). Sie hatten alle sehr unterschiedliche Charaktereigenschaften (denken wir nun an Judas, oder an Simon Petrus oder an Thomas…) und Frömmigkeit. Diese sehr verschiedenen Menschen waren dennoch dazu fähig, eine starke Gemeinschaft zu bilden. Ein Miteinander und Füreinander – zusammengehalten vom Glauben, der sie in die Nachfolge Jesu stellte.
Mich stört ein bisschen, dass keine Frau bei dieser Szene erwähnt wird. Obwohl sie, die Frauen, waren bestimmt auch da… Maria von Magdala, die vorher die Füße Jesu gesalbt hatte, oder Maria und Martha, die Schwestern des Lazarus, bei denen Jesus oft zu Gast war… vielleicht störte Leonardo da Vinci diese Tatsache auch, deshalb gab er auf seinem Bild dem geliebten Jünger, Johannes, weibliche Gesichtszüge …
Die Szene des letzten Abendmahls – wie sie in der Bibel beschrieben wird, oder wie Leonardo da Vinci sie bildlich darstellt – zeigt eine gelebte Gemeinschaft – kein ruhiges, gemütliches Zusammensein, sondern eher ein Miteinander und Füreinander in der Krise. Judas ist noch dabei – und seine Gestalt beschäftigt die gesamte Jüngerschaft heute noch viel mehr, als zum Beispiel der Jünger Bartholomäus…
Gelebte Gemeinschaft heißt einander wertschätzen, trotz unterschiedlicher Ansichten, trotz unterschiedlicher Frömmigkeit, trotz unterschiedlicher Charaktere… – einen Hauch von dieser Gemeinschaft versuchen die Kirchengemeinden zu praktizieren nicht nur bei der Feier des Abendmahls, sondern auch bei jedem Fest, bei jedem Zusammenkommen und bei jeder Möglichkeit, wo wir einander als Gemeinde begegnen, wie auch beim heutigen Schokofest.
Liebe Gemeinde,
Jesus ruft Menschen in die Nachfolge. Heute noch. Es ist aber nicht immer der bequemere Weg, der angenehmere Weg. Es ist aber der Weg zu einem verantwortungsvollen Handeln. Darüber schreibt Bonhoeffer im Folgenden:
„Der Weg der Nachfolgenden ist schmal. Leicht geht man an ihm vorüber, leicht verfehlt man ihn, leicht verliert man ihn, selbst wenn man ihn schon beschritten hat. Er ist schwer zu finden. Der Weg ist wahrhaftig schmal, der Absturz nach beiden Seiten bedrohlich: Zum Außerordentlichen gerufen sein, es tun, und doch nicht sehen und nicht wissen, daß man es tut, – das ist ein schmaler Weg. Die Wahrheit Jesu bezeugen und bekennen und doch den Feind dieser Wahrheit, seinen und unseren Feind, lieben mit der bedingungslosen Liebe Jesu Christi – das ist ein schmaler Weg. Der Verheißung Jesu glauben, daß die Nachfolgenden das Erdreich besitzen werden und doch dem Feind wehrlos begegnen, lieber Unrecht leiden als Unrecht tun – das ist ein schmaler Weg. Den anderen Menschen sehen und erkennen in seiner Schwäche, in seinem Unrecht, und ihn niemals richten, ihm die Botschaft ausrichten müssen und doch die Perlen niemals vor die Säue werfen – das ist ein schmaler Weg. Es ist ein unerträglicher Weg. Jeden Augenblick droht der Abfall. Solange ich diesen Weg als den mir zum Gehen befohlenen erkenne und ihn in der Furcht vor mir selbst gehe, ist er in der Tat unmöglich. Sehe ich aber Jesus Christus vorangehen, Schritt für Schritt, sehe ich allein auf ihn und folge ihm, Schritt für Schritt, so werde ich auf diesem Wege bewahrt. Blicke ich auf die Gefährlichkeit meines Tuns, blicke ich auf den Weg anstatt auf den, der ihn mir selbst vorangeht, so ist mein Fuß schon im Gleiten. Er selbst ist ja der Weg. Er ist der schmale Weg und das enge Tor. Ihn allein gilt es zu finden. Wissen wir das, dann gehen wir auf dem schmalen Weg durch die enge Pforte des Kreuzes Jesu Christi zum Leben, dann wird uns gerade die Enge des Weges zur Gewißheit. Wie sollte der Weg des Sohnes Gottes auf Erden, den wir als Bürger zweier Welten am Rande zwischen Welt und Himmelreich zu gehn haben, auch ein breiter Weg sein? Der schmale Weg muß der rechte Weg sein.“
(Quelle: jochenteuffel.com/2018/09/10/der-nachfolgende-sieht-allein-auf-den-dem-er-folgt-dietrich-bonhoeffers-nachfolge-von-1937-als-vollstaendiger-zitierfaehiger-text/)
Amen