Harald Kluge

„Wenn wir zusammenkommen hat jeder einen Psalm mit dabei im Gepäck“, schreibt Paulus in einem Brief an die Gemeindemitglieder in Korinth. Und womöglich haben Sie ganz persönlich einen Lieblingspsalm, ein Lieblingslied, so ein passendes Lied für jede Lebenslage? Das große Liederbuch der 150 Psalmen bietet ja bekanntermaßen Passendes für jede Gelegenheit und jeden Anlass. Je nach Laune oder Stimmung, je nach eigener Verfassung spricht mich dann der eine oder andere Psalm mehr an. Viele kennen den wohl größten Hit der Psalmen „Der HERR ist mein Hirte mir wird nichts mangeln…“ Oder vielleicht kommt ihnen in düsterer Stimmung eher ein Psalm 22 in den Sinn: „2 Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bist fern von meiner Rettung, den Worten meines Schreiens?“ Jesus hat am Kreuz selbst daraus noch Kraft gezogen, denn es war ihm klar, wie das Lied weitergeht. „3 Mein Gott, ich rufe bei Tage, und du antwortest nicht; und bei Nacht, und mir wird keine Ruhe. 4 Doch du bist heilig, der du wohnst unter den Lobgesängen Israels. 5 Auf dich vertrauten unsere Väter; sie vertrauten, und du hast sie gerettet. 6 Zu dir schrien sie um Hilfe und wurden gerettet; sie vertrauten auf dich und wurden nicht enttäuscht.“

Also lassen auch wir uns retten. Und lassen wir uns nicht enttäuschen. Widmen wir uns einem Song, in dem die Sehnsucht nach GOTT auch in den schrecklichsten Situationen doch so wunderbar zum Ausdruck kommt. Mir jagt dieser Psalm 27, ganz ehrlich gesagt, einen Schauer über den Rücken. Aber gleichzeitig frischt dieser Liedtext meinen Glauben an GOTT auch auf ganz besondere Weise wiederum auf. Das für GOTT geschriebene Tetragramm JHWH übersetze ich mit „GOTT“ und nicht dem oft verwendeten „HERR“ an dieser Stelle.

Von David.

GOTT ist mein Licht und meine Rettung: vor wem sollte ich mich fürchten?

GOTT ist die Fluchtburg meines Lebens: vor wem sollte ich erschrecken? 

Wenn Übeltäter sich mir nahen, um mein Fleisch zu fressen – meine Bedränger und meine Feinde – sie straucheln und fallen. Wenn sich ein ganzes Heer gegen mich lagert, mein Herz fürchtet sich nicht; wenn sich Kampf gegen mich erhebt, auch da bin ich voller Vertrauen. 

Eins habe ich von GOTT erbeten, danach suche ich: zu wohnen im Haus GOTTES alle Tage meines Lebens, die Lieblichkeit GOTTES zu sehen und nachzudenken in seinem Tempel. Denn er wird mich bergen in einer Hütte am Tag des Unheils, er wird mich umhüllen in der Hülle eines Zeltes; auf einen Felsen wird er mich heben.

Und nun wird mein Haupt sich erheben über meine Feinde rings um mich her. Opfer voller Jubel will ich opfern in seinem Zelt, ich will singen und spielen für GOTT. Höre doch, GOTT, mit meiner Stimme rufe ich: sei mir gnädig und antworte mir! Mein Herz erinnert dich an dein Wort: »Sucht mein Angesicht!« Dein Angesicht, GOTT, suche ich. Verbirg dein Angesicht nicht vor mir, weise deinen Knecht nicht ab im Zorn! Du bist meine Hilfe gewesen. Gib mich nicht auf und verlass mich nicht, Gott meiner Rettung! Denn mein Vater und meine Mutter haben mich verlassen – aber GOTT wird mich aufnehmen. Lehre mich, GOTT, deinen Weg, und führe mich auf ebenem Weg um meiner Feinde willen! Gib mich nicht preis der Gier meiner Bedränger, denn es erheben sich gegen mich falsche Zeugen und ein Gewaltzeuge.

Ach, wenn ich mir nicht sicher wäre, das Gute GOTTES zu schauen im Land der Lebendigen …! Hoffe auf GOTT! Sei fest, und dein Herz sei stark! Hoffe auf GOTT! 

PSALM 27

Liebe Gemeinde! Aufgrund des heutigen Textes muss ich mich heute outen. Ich mag Gruselfilme. Ich liebe schaurige Filme, die eine nervenzerfetzende Spannung bis zum Äußersten hochtreiben. Ja, ich mag es mich zu gruseln, in Filmen und bei Hörbüchern und seit meiner Jugend liebe ich auch Horrorliteratur. Denn was auch immer da geboten wird und sich Autorinnen und Autorengehirne ausgedacht haben, nichts ist so schrecklich und so grausam wie die Wirklichkeit.

Gegen die Irrlichter der Weltgeschichte, die Tyrannen und Gewaltherrscher und ihre Taten sind die schlimmsten Fiktionen von Gruseligem nichts mehr als Gute-Nacht-Geschichten. Ich wurde noch nie um den Schlaf gebracht, weil ich ein schauriges Buch gelesen oder einen spannenden Film gesehen habe. Die Nachrichten hingegen haben mir schon öfters den Schlaf geraubt. Und nicht nur das. Manche Nachrichten, wie die zuletzt so oft wiederholten Berichte von Überfällen am helllichten Tag auf offener Straße, von Keilereien, Messerstechereien, gewalttätigen Auseinandersetzungen größerer Banden, bereiten zumindest ein mulmiges Gefühl. Jede Nacht ziehen hier durch die Dorotheergasse grölende Gruppen, gut abgefüllt, schlagen gegen Türen, Fenster, klopfen auf die Motorhauben, bis mal wieder eine Sirene angeht oder eine Streife mit Sirene durch die engen Gassen rast.

Es gibt da ja dieses Phänomen namens Flashback. Bilder aus der Erinnerung tauchen bei bestimmten Situationen auf und triggern gewisse Gefühle. Bei mir ist es da ein ungutes Erlebnis in der Großfeldsiedlung, in der ich aufgewachsen bin. Da gibt es gegenüber unseren Reihenhäusern große Wohnblocks und dort gab es und gibt es wohl wieder Jugendbanden. Unsere kleine Freundesgruppe haben auf einem Gelände dazwischen immer solange Fußball spielen können bis diese Halbstarken aufgetaucht sind. Und manchmal haben sie uns auch gejagt, sind uns nachgelaufen, wollten uns abpassen, und einmal haben sie mich auch in einen der Wohnblock runter in den Keller getrieben. Ohne Ausweg, die Freunde haben Fersengeld gegeben, hab ich noch versucht den Starken zu geben, aber schließlich hab ich mich doch bei den Halbstarken entschuldigt und geschworen, nie mehr ihren Fußballplatz zu nutzen.

Da habe ich mich zugegebenermaßen gefürchtet. Es gab diese Momente, da hatte ich richtig Angst. Und das hör ich beim Song 27 heraus.

„GOTT ist mein Licht und meine Rettung: vor wem sollte ich mich fürchten? GOTT ist die Fluchtburg meines Lebens: vor wem sollte ich erschrecken?“

Wer jagt mir einen Schrecken ein, so dass ich nachts schweißgebadet aufwache? In heutiger Sprache würde man sagen: Der Ängstliche sucht eine Fluchtburg, einen sicheren Schutzplatz, einen SAFE SPACE. Wir brauchen einen sicheren Platz, einen Raum, in dem wir uns geborgen fühlen und wissen, da kann uns nichts geschehen. Deshalb ist es am Schlimmsten, wenn die Angst von der eigenen Familie ausgeht.

„Immer wenn meine Mutter in mein Zimmer kommt, habe ich Angst,“ hat mir mal eine Schülerin erzählt. Angst, etwas falsch gemacht zu haben, Angst, das Zimmer nicht ordentlich aufgeräumt zuhaben, Angst, etwas nicht getan zu haben, Angst einfach da zu sein, Angst, ihre schlechte Laune abzubekommen. „Ich trau mich schon gar nicht mehr, irgendetwas zu sagen.“ Jedes Wort wird mir im Mund umgedreht, jede Aussage wird verzerrt, meine Meinung wird ja eh nicht ernst genommen, und am besten sag ich gar nichts mehr.

Vor wem sollte ich erschrecken? Spontan würden wir doch sagen – niemandem. Wir sollten uns vor niemandem und nichts schrecken lassen. Aber der Sänger weiß es zwar aber spürt und fühlt das nicht. Denn er oder sie ist in einer brenzligen Situation.

„Wenn Übeltäter sich mir nahen, um mein Fleisch zu fressen – meine Bedränger und meine Feinde – sie straucheln und fallen. Wenn sich ein ganzes Heer gegen mich lagert, mein Herz fürchtet sich nicht; Wenn sich Kampf gegen mich erhebt, auch da bin ich voller Vertrauen.“ 

All das wird nicht gesungen, weil es so ist, sondern weil man es sich wünscht. Sehnlich wünscht sie sich, die Feinde, die Aufdringlichen sollen umfallen bevor sie sie erreichen. Noch bevor sie mit ihren bissigen und verletzenden Beleidigungen ihr etwas antun können, oder mit ihren Händen und Augen und Körpern Leid antun, sollen sie straucheln, umfallen wie nasse Kartoffelsäcke.  Ich wünsche mir Vertrauen, auch wenn es zu einer Auseinandersetzung kommt. Ob draußen auf den Schlachtfeldern der Ukraine und im Gazastreifen und im Jemen und überall wo richtig Krieg herrscht und den unmenschlichen Ton angibt. Aber auch hier bei uns auf den Schlachtfeldern der Partnerschaften und der Eltern-Kind-Beziehungen wünscht man sich ein furchtloses Herz, kein eingeengtes Herz, einen ausgedörrten Mund, so dass man nur stumm und sprachlos alles miterlebt. In dem Lied steckt so viel Sehnsucht nach Frieden und Liebe und Stärke und Kraft – gerade weil es rundherum so dunkel und zappenduster ist.

„Eins habe ich von GOTT erbeten, danach suche ich: zu wohnen im Haus GOTTES alle Tage meines Lebens, die Lieblichkeit GOTTES zu sehen und nachzudenken in seinem Tempel.“

Wo ist die Lieblichkeit heute noch zu Hause? Lieblich nicht liebreizend, nicht aufreizend, sondern sanft und vielleicht leise, aber einfach nur schön und wo Fürsorge, Zärtlichkeit sein dürfen. Die Lieblichkeit GOTTES ist doch das Größe und Schönste, nicht die Majestät, die Macht, die Herrschaft. Deshalb verwende ich auch ungern heutzutage den Begriff „HERR“ für den Gottesnamen. Dann schon lieber „GOTT“. Ja und dort wohnen zu dürfen und nachzudenken in seinem Tempel, sich dort ausruhen zu dürfen. Inmitten der Plage und der stressigen Geschäftigkeit, die überall an den Tag gelegt wird: suchen, wohnen, sehen und nachdenken. Ganz einfach und simpel.

„Denn er wird mich bergen in einer Hütte am Tag des Unheils, er wird mich umhüllen in der Hülle eines Zeltes; auf einen Felsen wird er mich heben. Und nun wird mein Haupt sich erheben über meine Feinde rings um mich her. Opfer voller Jubel will ich opfern in seinem Zelt, ich will singen und spielen für GOTT.“ 

Auch hier wieder ein hilfreicher Gedanke für die Zukunft: auch wenn es gerade nicht so sein sollte, ich möchte mich geborgen wissen, gerade am Tag des größten Unheils. Und es kann eine Hütte sein, ein Zelt, eine Burg, ein safe space, oder auch gar kein Ort, sondern ein Gedankenpalast, ein Buch, ein Lied, ein Mensch, bei dem ich diese Geborgenheit finden kann. Dann schaffe ich es wieder den Kopf zu heben, denn wir sollen nicht mit gesenkten Köpfen und auch nicht knieend durchs Leben gehen. Aber manchmal mag es schwer sein, den Kopf hoch zu halten. Und dann kann es mir im Herzen wieder so werden, dass ich spielen möchte, Lieder singen für GOTT. Denn GOTT ermöglicht all das. Davon haben die Menschen immer schon gesprochen und darüber haben sie gesungen und diese Erinnerungen haben sie bewahrt bis heute über Jahrtausende hinweg. In allen stürmischen Phasen haben manche es vermocht, den Kopf hoch zu halten, nicht unterzugehen.

„Im Journal zu Gast“ auf Ö1 im Mittagsjournal wurde die Politikwissenschafterin, Militärstrategin und Zukunftsforscherin Florence Gaub von Veronika Fillitz interviewt. Gaub leitet als Direktorin den Forschungsbereich am NATO Defense College in Rom. Am Schluss wurde die Florence Gaub gefragt: „Klimakrise, Krieg im Gazastreifen, Krieg vor der Haustüre. Sehr vielen Menschen bereitet das Sorgen. Sie als Krisenexpertin, haben Sie da auch Angst?“

Ihre Antwort war pfiffig: „Also Angst ist nicht das richtige Wort, das ich dafür verwenden würde. Ich finde es eher anstrengend.“

Jährlich gibt es über die letzten Jahrzehnte geschaut immer rund 120 Konflikte und Krisen in der Welt. Nur sind wir heute viel näher dran. Und man spricht ja auch von einer gesunden Distanz. Denn die geht mir verloren, wenn ich mir alle Kämpfe mitten ins Wohnzimmer oder auf mein Handy hereinhole. Ihr Tipp als Krisenexpertin lautet dementsprechend auch: Hie und da Handy abschalten, nicht alle Videos müssen geteilt, geliked, gehatet oder konsumiert werden. Und anstatt sich nur aufregen zu lassen und zu echauffieren, rät sie dazu, aktiv zu werden, zu spenden, selbst ehrenamtlich mitzuarbeiten bei Aktionen und Vereinen, die etwas zum Guten bewegen. Man soll nicht immer nur auf das Schlechte starren.

Und der Rat von „Jung mit Jesus“ könnte dazu lauten: Wenn dir alles zu viel geworden ist, dich die vielen Dinge, die du zu erledigen hast mit den schlimmen Nachrichten zusammen in den Wahnsinn treiben, dann gönne dir eine Ruhepause, gönne dir einen anderen Blick, einen Blickwechsel. Einmal den Blick weg von dem, was quält und gefangen hält.

„Seht die Vögel, die Lilien, die Blumen, die Geschöpfe dieser Welt! Gott schaut auf sie und schaut auf dich! Gott macht das schon!“

Und wenn es an der Zeit ist, werden wir wissen, was zu tun ist. Da schwingen viel Gottvertrauen und Gott-Zutrauen mit. Das wünsche ich uns – Vertrauen und Zuversicht. AMEN