“Wo bleibt der Trost der ganzen Welt?” Lukas 2, 22-40 Pfarrer Harald Kluge

Jesus wird in den Tempel gebracht

21Nach acht Tagen war es Zeit, das Kind zu beschneiden. Es bekam den Namen »Jesus«. So hatte es der Engel bestimmt, noch bevor Jesus im Mutterleib empfangen wurde. 22Die Zeit ihrer Reinigung war vorbei, so wie sie im Gesetz des Mose festgelegt ist. Da gingen Maria und Josef mit Jesus nach Jerusalem. Sie wollten das Kind im Tempel zum Herrn bringen. 23So schreibt es das Gesetz des Herrn vor: »Alle Erstgeborenen sind mir heilig! Deshalb sollt ihr mir jeden Sohn übergeben, der als erster geboren wird.« 24Zugleich brachten sie das Reinigungsopfer dar, wie es im Gesetz des Herrn vorgeschrieben ist: ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben.

25Damals lebte in Jerusalem ein Mann namens Simeon. Er lebte gerecht vor Gott und vertraute ganz auf ihn. So wartete er auf den Trost, den Gott Israel schickt. Der Heilige Geist leitete ihn. 26Durch den Heiligen Geist hatte Gott ihn wissen lassen: »Du wirst nicht sterben, bevor du den Christus des Herrn gesehen hast.« 27Jetzt drängte ihn der Heilige Geist, in den Tempel zu gehen. Gerade brachten auch die Eltern ihr Kind Jesus dorthin. Sie wollten die Vorschriften erfüllen, die im Gesetz für ihr Kind vorgesehen sind. 28Simeon nahm das Kind auf den Arm. Er lobte Gott und sagte: 29»Herr, jetzt kann dein Diener in Frieden sterben, wie du es versprochen hast. 30Denn mit eigenen Augen habe ich gesehen: Von dir kommt die Rettung. 31Alle Welt soll sie sehen – 32ein Licht, das für die Völker leuchtet und deine Herrlichkeit aufscheinen lässt über deinem Volk Israel.« 33Der Vater und die Mutter von Jesus staunten über das, was Simeon über das Kind sagte. 34Simeon segnete sie und sagte zu Maria, der Mutter von Jesus: »Dieses Kind ist dazu bestimmt, in Israel viele zu Fall zu bringen und viele aufzurichten. Es wird ein Zeichen Gottes sein, dem viele sich widersetzen. 35So soll ans Licht kommen, was viele im Innersten denken. Und für dich, Maria, wird es sein, als ob ein Schwert deine Seele durchbohrt.«

36Es war auch eine Prophetin im Tempel. Sie hieß Hanna und war eine Tochter Penuels aus dem Stamm Ascher. Hanna war schon sehr alt. Nach ihrer Hochzeit war sie sieben Jahre mit ihrem Mann verheiratet gewesen. 37Seitdem war sie Witwe und nun vierundachtzig Jahre alt. Sie verließ den Tempel nicht mehr und diente Gott Tag und Nacht mit Fasten und Beten. 38Jetzt kam sie dazu und lobte Gott. Dann erzählte sie allen von dem Kind, die auf die Rettung Jerusalems warteten.

39Josef und Maria erfüllten im Tempel alle Vorschriften, die das Gesetz des Herrn vorsieht. Dann kehrten sie nach Galiläa zurück in ihre Heimatstadt Nazaret. 40Jesus wuchs heran. Er war ein kräftiges Kind. Gott schenkte ihm immer mehr Weisheit, und seine Gnade begleitete ihn.

Lukas 2, 22-40

Liebe Gemeinde!

Damals wie heute heißt es für Eltern nach der Geburt nicht, ausruhen und einfach mal die gemeinsame Zeit mit dem Kind genießen. Nein, früher und auch heute muss man Behördenwege absolvieren. Vor zweitausend Jahren hatten die Eltern mit ihren erstgeborenen Söhnen in den Tempel zu reisen. Bei Maria und Josef war es, ihr Glück, kein weiter Weg. Von der Geburtsstadt Bethlehem bis nach Jerusalem war es ein Katzensprung von nur 8 Kilometern.

Bei uns geht es ja heutzutage direkt nach der Geburt nicht in den Tempel und auch erst später in eine Kirche oder in ein anderes Gotteshaus.

In unserer Zeit muss ein Elternteil nach ein paar Tagen, aufs Standesamt.

Um all die Behördenwege nicht durcheinander zu bringen oder etwas zu verpassen, gibt es den digitalen Babypoint online. Und einige Krankenhäuser haben einen Baby-Urkunden-Service direkt im Haus. Maria und Josef müssen den Weg nach Jerusalem auf sich nehmen. Eine Strapaze direkt nach der Geburt.

Ich hatte, noch bevor es einen digitalen Babypoint gab, bisher dreimal dieses Vergnügen immer nach der Geburt einer weiteren Tochter. Und ich hatte eine Woche Zeit, um mir dafür Zeit zu nehmen.

Deshalb kann ich Maria und Josef sehr gut verstehen. Ich kann nachvollziehen, was sie da durchmachen als sie zum Tempel nach Jerusalem aufbrechen, um ihrem Sprössling den Namen zu verleihen und ihn den Riten unterziehen zu lassen. Sie müssen auch einen Tarif bezahlen: zwei Turteltauben oder zwei Jungtauben.

Bei uns hatte man ebenfalls eine Gebühr, bis vor kurzem noch in Stempelmarken zu zahlen. Jetzt ist es gratis.

Ich hatte am Standesamt immer das Problem als frischgebackener Papa, dass ich den Standesbeamtinnen klar zu sagen hatte, wie unsere Tochter denn jeweils nun heißen soll.

Dieser Moment, in dem wir Eltern für die Kinder den Namen festschreiben lassen, ist durchaus keine ungefährliche Angelegenheit. Maria und Josef beantworten die Frage: „Wie soll euer Sohn also heißen?“ unisono mit „Jeschua“, wir sagen heute „Jesus“ bei uns im deutschsprachigen Gebiet, damals war es eher so der „Joschua“. Und eigentlich hieß das soviel wie „Gott rettet“. Der „Retter“, der „Erlöser“ Gottes war geboren und es wurde ihm damit gleich einmal eine große Bürde auferlegt.

Ich hatte der Standesbeamtin vor 16 Jahren klar zu machen, dass sie bitte Ruth eben mit stummem „h“ am Schluss einträgt und Eleni nicht „Heleni“ und nicht „Elenie“ mit „e“ am Ende zu schreiben ist. Ronja war noch leicht aber schwer und langwierig war ihr Zweitname „Abigail“ mit Doppelpunkt über dem zweiten „i“. Das mussten sie nachschlagen und herumfragen, hatten es dann aber in den Verzeichnissen der erlaubten Vornamen gefunden.

Für unsere Jüngste Penelope Zeruya half anfangs auch nicht der Verweis, dass „Zeruya“ ja ein biblischer Name sei. Erst der Hinweis auf die Autorin „Zeruya Shalev“ – „ah, die kenn ich und lese ich auch!“ einer der Beamtinnen – erledigte auch diese Namensgebung zur vollsten Zufriedenheit.

Aber ich bin davor im Warteraum gesessen und hab schon noch überlegt, ob ich nicht doch einen anderen Namen nehmen sollte. Abigail, Zeruya, Eleni …

Der Vorname „Jeschua“ war damals hingegen keineswegs ausgefallen. Den gab es häufig aber den „Jesus“, diesen speziellen Jesus, kannten die Leute später einfach als den „Jesus aus Nazareth“, „Jesus Ben Josef“, den „Jesus, der Sohn von Josef“. Und noch später mit dreißig Jahren wurde er zu Jesus der Rabbi, der Wunderheiler, der Arzt, der Tröster, der Zuhörer, der König der Juden.

Als Eltern haben wir alle ja die tollsten Sachen erleben dürfen, wenn wir uns an die ersten Wochen und Monate mit unseren Kindern erinnern. Bei Maria und Josef, dem jungen Paar, noch ganz erleichtert und freudig dankbar, dass die Geburt ihres Sohnes gut gegangen war. Dankbar, dass Maria gesund und wohlauf war.

Da taucht plötzlich aus einer Ecke des Tempels ein Mann auf. Sie nennen ihn dort Simeon und man weiß, dass er eine Art Seher, Prophet ist, fromm und ehrfürchtig und wohl auch respekteinflößend.

Simeon behauptet, dass ihm der Geist Gottes klar gemacht habe, dass er erst sterben werde, wenn er dem Erlöser, dem Retter, dem Messias, dem Trost für sein Volk begegnet sein wird.

Simeon wird ein Mann seiner Zeit eben viel erlebt haben. Der König Herodes und seine Grausamkeit als Herrscher. Unberechenbar hatte Herodes als Tyrann einen Kindermord befohlen – von dem im Gebiet Syrien wissen wir aus antiken Schriften. Ob es den in Bethlehem auch gegeben haben wird, ist ungewiss. Aber zuzutrauen war es dem Gewaltherrscher Herodes durchaus. Simeon wird erlebt haben, dass es gefährlich war, den jüdischen Glauben an eine Errettung aus ungerechter Zwangsherrschaft zu vertreten. Die Meinung frei zu äußern hatte einigen Söhnen des Herodes bereits zuerst den Zorn ihres Vaters und dann den Tod eingebracht. Simeon wird die Not der Bevölkerung, seiner Mitmenschen, den Hunger nach schlechten Ernten, gekannt haben.

Ihm werden Krieg und Kampf und die Angst vor dem Tod durch ein Schwert oder einen Dolch, durch ein Messer in der Nacht von einem hungrigen Burschen, vertraut gewesen sein. „Wo bleibst du GOTT?“, wird er sich und GOTT nicht nur einmal gefragt haben. Weshalb müssen so viele Menschen in Not und Elend aufwachsen? Warum muss diese Fremdherrschaft durch die Römer und deren Vasallen immer noch andauern und das Leben von so vielen gefährden? Warum sterben so viele an Krankheiten und warum wirken so viele junge und ältere Mitmenschen als wären sie besessen?

Wann hat das hier endlich ein Ende? Wann greifst du GOTT ein und wendest das Blatt zum Guten und unseren Blick und unser Sehnen und unser Wünschen zum Guten hin?

„Du wirst es sehen, noch bevor du die Augen für immer schließen wirst, Simeon!“ Das hat ihm der Geist Gottes, womöglich durch eine Engelsstimme, zugeflüstert.

So konnte Simeon warten, arbeitete jeden Tag, lebte und hoffte und zweifelte sicherlich dann und wann auch.

Wann hat das Elend endlich ein End? Wann verstehen wir in unserer heutigen Zeit, wie wir diese irren Kriege und Streitigkeiten und Auseinandersetzungen sein lassen? Obwohl wir sind es ja nicht die kämpfen, die Truppen befehlen und Drohnen steuern und Panzer losschicken und Flugzeuge steuern. Wir wohnen auch nicht in den Ortschaften, die bombardiert werden, deren Krankenhäuser, Elektrizitätsanlagen, Wasserversorgung zerstört werden. Wir sind die Zuschauerinnen und Zuschauer, seit der Einführung der sozialen digitalen Medien, wenn wir das wollen, auch erste Reihe fußfrei, mitten dabei beim Vormarsch der Kampftruppen. Oder mit vorher und nachher geschossenen Fotos aus dem Orbit, können wir es genau mitverfolgen. Dort stand einmal eine Schule, da ein medizinisches Zentrum, hier ein Kindergarten und da waren Wohnblocks.

Zerschossen, zerstört, niedergewalzt, in Syrien, im Jemen, in Gaza, in der Ukraine, im Sudan und an vielen weiteren Orten dieser Welt. 120 Millionen vertriebene Menschen weltweit suchen eine sichere Unterkunft, sind Flüchtlinge. Doppelt so viele wie vor 10 Jahren!

Laut dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF war 2024 eines der schlimmsten Jahre für Kinder weltweit. Sie sind zum „Kollateralschaden der ungebremsten Kriege der Welt“ geworden. Denn Kinder können nichts für Kriege.

Und da passt der gestrige in vielen katholischen Kirchgemeinden noch bedachte „Tag der Unschuldigen Kinder“ in Erinnerung an die Geschichte im Matthäusevangelium zum Kindermord in Bethlehem, den der irre Herodes veranlasst haben soll.

Die Auswirkungen bewaffneter Konflikte auf Kinder haben im Jahr 2024 ein verheerendes und womöglich beispielloses Ausmaß erreicht.

Schätzungen zufolge leben mehr Kinder als je zuvor entweder in Konfliktgebieten oder sind aufgrund von Konflikten und Gewalt gewaltsam vertrieben worden. Die Rechte einer Rekordzahl von Kindern, die von Konflikten betroffen sind, werden verletzt, unter anderem, weil sie getötet und verletzt werden, die Schule abbrechen müssen, es an lebenswichtigen Impfungen fehlt oder sie an schwerer Mangelernährung leiden. Die Zahl wird 2025 noch weiter steigen.

Simeon und Hanna hatten das alles miterlebt. Bei Hanna kam noch ein tragisches Familienschicksal dazu, von dem wir lesen. Sie hatte jung geheiratet, wie es damals Brauch war. Ihr Ehemann starb aber bereits nach nur sieben Ehejahren. Sie hatten wahrscheinlich keine Kinder und damit hätte Hanna wieder heiraten müssen, um abgesichert zu sein und auch im Schutz einer Familie leben zu können. Sie hat jedoch nicht mehr geheiratet und hatte damit das schwierige Leben als alleinstehende Witwe zu führen.

Wir wissen nicht, was sie alles erlebt hat, aber ihr gaben der Glaube und der regelmäßige Besuch im Tempel den nötigen Halt. Sie war 84 Jahre als Jesus in den Tempel gebracht wurde.

Für Simeon und Hanna erfüllt sich hier in diesem Moment, als sie Maria und Josef mit dem Säugling Jeschua sehen und sein Schreien hören, seine Nähe spüren und ihn im Arm halten dürfen, alles, worauf sie im Leben gehofft hatten.

Wie auch immer es zugehen soll, dieses kleine Menschlein wird der Welt die nötige Wendung geben.

Mit diesem Baby hat sich GOTT in diese Welt und das Weltgeschehen gestürzt und direkt eingemischt. Dass der Umsturz dieses römischen Systems auf Gewalt und Reichtum aufgebaut nicht durch einen militärischen Schlag geschehen wird, wussten sie damals noch nicht.

Dass Jesus als Retter und Heiland und Messias nicht die Feinde ins Feuer der Hölle treiben wird und auch keine neue Gewaltherrschaft unter anderem Vorzeichen mit der Willkür einer anderen religiösen Ausrichtung aufgebaut wird, das war die Enttäuschung der Männer wie Judas, der Jesus verraten wird, erleben werden.

GOTT hat einen anderen Weg genommen. Und Jesus pflanzte nur den Samen, setzte damit den Beginn der Gottesherrschaft, einer Welt, in der GOTTES Liebe keine Floskel, keine Bekundung in rituellen Formeln und Gesängen bleiben soll.

Das Reich Gottes verhilft der Hoffnung, dem Glauben und der Liebe schlussendlich zum Sieg und umgekehrt. Wir sind noch mittendrin in diesem geschen und haben es tagtäglich in der Hand.

So wie damals Simeon und Hanna Jesus auf den Arm genommen haben, anfassen haben dürfen, es in der Hand hatten.

Und sie haben Gott gedankt, dass sie in ihrem Leben einen Vorgeschmack auf das haben, was sich im Leben von Jesus zeigen wird. Heilungen, Wunder, durch die Menschen, ungeachtet ihrer Herkunft, oder ihrer Zugehörigkeit, auf einen guten Pfad gebracht werden. Wo bleibt der Trost der ganzen Welt?

Er war bereits da und das wirkt mitten unter uns. Wenn wir es zulassen. Und vielleicht lässt es uns ruhiger schlafen, trotz aller Gräuel und trotz aller Not.

Und es lässt uns dann einmal wie Simeon und Hanna auch, ruhig einschlafen, denn wir haben GOTTES Herrlichkeit und GOTTES Liebe erfahren, davon gehört und seine Nähe gespürt.

Das wünsche ich uns allen im Übergang ins Neue Jahr.

AMEN