„Wunder wirken Wunder“ Richter 6, 11-23 Audiogottesdienst Pfarrer Harald Kluge
11 Der Engel des HERRN kam nach Ofra und setzte sich unter eine Eiche auf dem Grundstück, das Joasch gehörte, einem Mann aus der Sippe Abiëser. Joaschs Sohn Gideon drosch gerade Weizen in einer Kelter, um das Getreide vor den Midianitern in Sicherheit zu bringen. 12 Da erschien ihm der Engel des HERRN und sagte: »Der HERR steht dir bei, du starker Kämpfer!« 13 Gideon erwiderte: »Ach, mein Herr, wenn Gott uns wirklich beisteht, warum geht es uns dann so schlecht? Wo sind all die Wunder, von denen unsere Eltern uns erzählt haben? Sie sagen, der HERR habe uns aus Ägypten befreit. Aber was ist jetzt? Er hat uns verlassen und den Midianitern ausgeliefert!« 14 Der HERR sah Gideon an und sagte: »Ich gebe dir einen Auftrag: Geh und rette Israel aus der Gewalt der Midianiter! Du hast die Kraft dazu!« 15 »Aber wie soll ich Israel denn retten?«, rief Gideon. »Meine Sippe ist die kleinste in Manasse, und ich bin der Jüngste in unserer Familie.« 16 Der HERR versprach: »Ich stehe dir bei! Du wirst die Midianiter schlagen, als hättest du es nur mit einem einzigen Mann zu tun.« 17 Gideon entgegnete: »Wenn du wirklich zu mir stehst, dann erlaube mir eine Bitte: Gib mir doch ein Zeichen, dass du, der jetzt mit mir spricht, wirklich Gott bist. 18 Ich möchte dir eine Gabe holen. Bitte geh nicht weg, bis ich wiederkomme.«
Der Herr antwortete: »Ich bleibe, bis du zurück bist.« 19 Gideon ging ins Haus, nahm gut zehn Kilogramm Mehl und backte ungesäuerte Brote. Danach schlachtete er einen jungen Ziegenbock und bereitete ihn zu; das Fleisch legte er in einen Korb, und die Brühe goss er in einen Topf. Nun brachte er das Essen hinaus zur Eiche und bot es seinem Gast an. 20 Doch der Engel Gottes sagte zu ihm: »Nimm das Fleisch und das Brot und leg es auf den Felsen hier! Die Brühe gieß aus!« Gideon gehorchte. 21 Der Engel des HERRN streckte seinen Stab aus und berührte damit das Fleisch und das Brot. Da kam Feuer aus dem Felsen und verzehrte das Essen. Zugleich verschwand der Engel des HERRN. 22 Nun hatte Gideon keinen Zweifel mehr, er rief: »HERR, mein Gott, ich muss sterben! Denn ich habe den Engel des HERRN von Angesicht zu Angesicht gesehen!« 23 Da sprach der HERR zu ihm: »Hab keine Angst! Du wirst nicht sterben. Mein Friede ist mit dir.« 24 Da baute Gideon an dieser Stelle einen Altar und gab ihm den Namen: „Jahwe-Schalom“, »Der HERR ist Friede«. Er steht bis heute bei Ofra, der Stadt der Abiësriter.
Richter 6, 11-23
Liebe Gemeinde! „Es gibt kein Wunder für den, der sich nicht wundern kann.“ So lapidar drückt es die österreichische Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach aus. Also kann es sich um eine Fähigkeit handeln, ob wir Wunder als solche erkennen oder eben gleichgültig daran vorübergehen? Ihr Zeitgenosse, der irische Dichter Oscar Wilde meint hingegen: „Ich glaube nicht an Wunder. Ich habe ihrer zu viele gesehen.“ Wie wir es auch drehen und wenden, es gibt nichts, worüber wir uns mehr wundern können, als über Wunder. Was wäre unsere Welt und unser Leben ohne Wunder, ohne diesem Sinn fürs Besondere. Wer von uns ist noch nie einer Schönheit begegnet, die uns geradezu umgehauen hat vor Wucht. Wer war noch nie wie verzaubert von jemandem und hat sich in der Magie der Liebe verloren.
Wer von uns sehnt sich nicht danach, über das Alltägliche hinaus von etwas berührt zu werden, dass sich eben nur mit diesem Wort wunderbar oder wundervoll beschreiben lässt. Der Mann in unserer Geschichte, die sich vor mehr als 3.000 Jahren abgespielt haben soll, heißt Gideon. Seinen Namen könnten die Eltern deshalb gewählt haben, weil unter anderem meint: „Jemand, der anstelle einer Hand einen Stumpf hat.“ So gesehen wäre Gideon gehandicapt, aber trotzdem eine der starken und bedeutsamen Richtergestalten und Führungspersönlichkeiten der Völker Israels. Gideon könnte aber auch „Holzfäller“ oder „großer Krieger“ heißen. Und all das dürfte Gideon gewesen sein. Das Richterbuch ist voller Stories über Helden und Heldinnen. Als Gottes Wahl auf Gideon fällt, schickt er ihm einen Engelsboten. Diese waren in der Vorstellung der damaligen Zeit nicht immer gleich als solche zu erkennen. Und auch Gideon weiß nicht sofort, dass er hier einen Boten Gottes vor sich hat. Die Szene zwischen Gideon und dem Engel wirkt fast schon skurril, ja geradezu bizarr. Und es könnte eine gute Screwball-Komödie abgeben, wenn wir uns den Wortwitz näher anschauen. Zuerst setzt sich der Bote Gottes einfach so unter eine Eiche auf dem Grundstück der Familie von Gideon und beobachtet das Treiben der Menschen so einige Zeit lang. Dann steht er auf und geht zu Gideon, der in einer Kelter, einem großen Bottich, Getreide drischt.
Normalerweise wird Getreide auf einem Platz gedroschen, damit der Wind die Spreu und Spelzen fortwehen kann, während die Körner zu Boden fallen. Das Ganze in einem Bottich zu tun, in dem nun einmal wenig Wind durchziehen kann, mag den Grund haben, dass Gideon sich die Arbeit doppelt schwer machen hat wollen. Warum auch immer. Oder er hat darauf geachtet, dass die Männer der Midianiter, die damals das Land überwacht und ausgebeutet haben, das nicht mitbekommen. Wie auch immer, spricht der Engel Gideon bei der Arbeit an. »Der HERR steht dir bei, Gideon, du starker Kämpfer!« Wenn Gideon nun wirklich von seinen Eltern seinen Namen aufgrund des Handicaps mit seiner Hand bekommen haben sollte, wird es unseren Gideon verwirrt haben. „Ich, Gideon, ein großer starker Kämpfer? Will der Mann sich über mich lustig machen?“
Gideon erwidert schlagfertig: »Ach, mein Herr, wenn Gott uns wirklich beisteht, warum geht es uns dann so schlecht? Wo sind all die Wunder, von denen unsere Eltern uns erzählt haben? Sie sagen, der HERR habe uns aus Ägypten befreit. Aber was ist jetzt? Er hat uns verlassen und den Midianitern ausgeliefert!« Schauen Sie sich doch nur einmal um, werter Herr. Überall Streit und Kampf und Aufruhr. Hungersnot und Krankheiten und eine enorme Teuerung plagen die Leute.
„GOTT hat uns verlassen. Früher gabs noch Wunder. Da war alles eine schöne heile Wunderwelt. Aber heute?! Ach, hören Sie mir auf, so etwas Dummes zu sagen.“ Und heute könnten wir entgegnen: Ja zu Zeiten von Jesus, da wurden Lahme geheilt und Taube und Stumme und Verzweifelte und den Gefangenen wurde die Freiheit versprochen und ein Ende soll es haben mit der Angst und dem Sich Fürchten, weil selbst den Tod hat Jesus überwunden. Aber wir? Was erleben wir heute schon für Wunder. Schon einige Hundert Jahre nach Gideon fragen sich die Menschen genau dasselbe wieder und immer wieder. GOTT soll doch für uns Wunder wirken, damit wir an GOTT glauben können. Und bei Jesaja 43 antwortet GOTT ihnen: „18 Hängt nicht wehmütig diesen Wundern der Vergangenheit nach! Bleibt nicht bei der Vergangenheit stehen! 19 Schaut nach vorne, denn ich will etwas Neues tun! Es hat schon begonnen, habt ihr es noch nicht gemerkt?“ Also muss ich wirklich nur einfach meine Lauscher aufsperren und die Augen aufmachen und werde ich dann die Wunder sehen können?
Der vor 70 Jahren verstorbene Physiker Albert Einstein sinnierte so schön: “Es gibt zwei Arten sein Leben zu leben: entweder so, als wäre nichts ein Wunder, oder so, als wäre alles eines. Ich glaube an Letzteres.” Und 1905 vor 120 Jahren hatte Einstein auch so ein Jahr, dass für ihn zu einem annus mirabilis, sein Wunderjahr, wurde.Er verfasst seine Dissertationsschrift mit dem Titel „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“ und andere bahnbrechende Arbeiten. Damit begründet er die Grundlagen einer neuen modernen Physik und läutet mit der berühmten Gleichung E=mc² das Zeitalter der modernen Physik ein.
Viele seiner Gedankenexperimente hatten ihren Anfang darin, dass er sich immer wieder über banale Dinge des Lebens und der Natur wundern konnte. Seine Kreativitätsexplosion, wie er es nennt, erklärt er mit diesem Sich-Wundern-Können über das Alltägliche, dass wir sonst meist nicht hinterfragen. Gideon wundert sich anfangs über gar nichts, als ihn dieser Herr anspricht. Und der Herr gibt ihm einen Auftrag: „Geh und rette Israel aus der Gewalt der Midianiter! Du hast die Kraft dazu!« Jetzt macht sich der Engel zum zweiten Mal über Gideon lustig. Er habe die Kraft dazu. Das wäre gerade so, als würden wir zu GOTT sagen: „Es geht uns Menschen schlecht und so viele müssen leiden und erleben Not und Hunger. Tu doch was. Du bist doch GOTT! Das kann dir doch nicht egal sein, wie es uns geht.“
Und wenn GOTT dann meint: „Geht und rettet die Menschen und die Tiere und die Umwelt. Ihr habt die Kraft dazu!“ Dann würden wir doch wie Gideon zurückfragen: 15 »Aber wie sollen wir denn die Menschen, die Tiere und die Umwelt und die Wirtschaft und das Klima retten?« Gideon kommt aus einer sehr kleinen Volksgemeinschaft namens Manasse und dazu ist er noch der jüngste in seiner Familie. Und denken wir uns nicht auch: Wir sind zu machtlos, zu klein, nicht reich genug, nicht mächtig genug, nicht einflussreich genug, nicht kreativ genug, nicht stark und ausdauernd genug, um wirklich etwas zum Positiven zu verändern. Aber GOTT sieht etwas in Gideon, dass andere nicht sehen und auch Gideon selbst nicht sehen kann. Der HERR verspricht, und dabei steht Herr hier schon als Ausdruck für das Wort GOTTES selbst: »Ich stehe dir bei! Du wirst es schaffen. Du musst es nur versuchen«
Und wieder lässt sich Gideon nicht darauf ein. Er tut alles, um nur ja nicht aktiv werden zu müssen, sich um etwas anderes als sein Tagewerk kümmern zu müssen. Ich hab genug mit meiner Arbeit zu tun und kann nicht auch noch für das Wohl anderer tätig sein. Dafür fehlt es mir an Kraft, an Geld. Es ist ja so viel bequemer sein Getreide zu dreschen, das Vieh zu hüten, morgens aufzustehen und zu wissen, was einen erwarten wird. Also weicht Gideon wieder aus und sagt sich innerlich. Ich würde ja gerne etwas tun, etwas Großes und Bedeutsames, wie GOTT von mir will. Aber vielleicht bilde ich mit das auch nur ein, dass hier jemand meint, ich könne Großes schaffen. Also fordert er den Herren heraus. »Wenn GOTT wirklich zu mir steht, dann gib mir doch ein Zeichen, dass du, der jetzt mit mir spricht, wirklich Gott bist.“ Und Gideon bittet den Fremden zu warten. „Ich hol nur schnell was. Bitte geh nicht weg, bis ich wiederkomme.“ Der Herr antwortet: »Ich bleibe, bis du zurück bist.« Das Komische an dieser Stelle ist, dass Gideon wie vom Irrsinn zu backen und zu kochen anfängt. Er nimmt 10 Kilogramm Mehl, um Brot für rund zehn Männer zu backen. Das alleine dauert bereits Stunden. Dann schlachtet er einen Ziegenbock, bereitet ihn zu, schmeckt die Brühe ab. Alles in allem verbringt er Stunden damit, das Essen zuzubereiten.
Vielleicht verschwindet dieser seltsame Herr ja auch in der Zwischenzeit.
Nun bringt er das Essen hinaus zur Eiche und bietet es seinem Gast an, der brav gewartet hat. Aber der Engel will nichts davon essen, ja nicht einmal probieren und sagt stattdessen: »Nimm das Fleisch und das Brot und leg es auf den Felsen hier! Die Brühe gieß aus!« Und dann streckt der seinen Stab aus und berührt damit das Fleisch und das Brot. Wie auf einem Kochfeld tauchen Flammen auf und das gesamte zubereitete Essen verbrennt. Damit sollte es jedem klar geworden sein, dass hier GOTT selbst zugegen ist. Aber Gideon ist nicht erleichtert, sondern verzweifelt schon wieder. Nach seiner Ansicht, muss er nun sterben, weil er Gottes Engel von Angesicht zu Angesicht gesehen hat.
GOTT hätte jetzt guten Grund an Gideon zu verzweifeln und sich zu denken: Der macht mich fertig.
Was ich auch tu oder nicht tu, der Gideon windet sich wie ein Aal, um nur ja nicht seiner Aufgabe nachkommen zu müssen. Also beruhigt Gott den armen Gideon, der um sein Leben fürchtet: »Hab keine Angst! Du wirst nicht sterben. Mein Friede ist mit dir.«
Wir hören fast wie hier Gideon endlich ein Stein vom Herzen fällt, wir sehen wie ihm ein Licht aufgeht. Wie es dann bei Jesus in Matthäus 4, 16 beschrieben wird: “Das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen; und die da saßen am Ort und Schatten des Todes, denen ist ein Licht aufgegangen.” Gideon baut, um es selbst nicht zu vergessen und damit es auch nach ihm niemand vergisst, an dieser Stelle einen Altar und gibt ihm den Namen: „Jahwe-Schalom“, »Der HERR ist Friede«. Er steht bis heute bei Ofra, der Stadt der Abiësriter.
Gideon wollte ein Wunder sehen, damit er glauben konnte, dass GOTT wirklich ihn ausgewählt hat. Aber Gideon ziert sich. Er zweifelt stark an, dass gerade er aus einem kleinen Volksverband und gehandicapt wirklich ausersehen ist. Er versucht wie Jona, der vor der Berufung durch GOTT weit weit weg fliehen will, alles, um nur ja nicht sein gewohntes Leben verlassen zu müssen. Aber GOTT lässt nicht locker. Und GOTT liefert Gideon sein Wunder, dass er einfordert. Sind wir so viel anders als Gideon?
Wo sind all die Wunder, von denen unsere Eltern uns erzählt haben? Sie sagen, der HERR habe die Israeliten damals aus Ägypten befreit. Aber was ist jetzt? Wo sehen wir heute die Befreiungen, die Heilungen, die Ermutigungen? Wo wird heute getröstet und wo werden Wunden verbunden, Gräben zugeschüttet, wo werden sich die Hände zum Frieden gereicht, wo umarmen sich verfeindete Gruppen, wo können Kinder und Jugendliche endlich aufatmen, weil sie Ausblick auf eine gute Zukunft haben dürfen? Wünschen wir uns nicht auch dann und wann ein Wunder, wie Gideon oder wie die Menschen zur Zeit des Propheten Jesaja? Geschehen überall Wunder, nur bei uns nicht? Oder ist die Zeit der Wunder vorbei, so wie der Glaube verblasst und verpufft.
„Wir müssen nicht glauben, dass alle Wunder der Natur nur in anderen Ländern und Weltteilen seien. Sie sind überall. Aber diejenigen, die uns umgeben, achten wir nicht, weil wir sie von Kindheit an und täglich sehen.“ So beschreibt es der Schriftsteller Johann Peter Hebel. Und ist es nicht wirklich voller Wunder dieses Leben. Jeder Tag, den wir erleben, vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang und gerade die Nacht ist doch voller Wunder. Ein Blick in den Sternenhimmel in einer klaren Nacht genügt, ein Blick in die Augen unserer Geliebten, ein Wort der Ermunterung, alles was uns zum Lachen bringen kann. Steckt nicht in alldem zumindest ein Körnchen von einem Wunder?
Der belgische Telefonseelsorger und Geistliche Phil Bosmans beschreibt es so wundervoll:
„Ich dachte, ich würde sie kennen, den Apfelbaum und den Birnbaum, bis ich eines Tages das Wunder sah. Sie standen mit ihren Füßen auf demselben Boden, erhoben ihren Kopf in dieselbe Luft, dieselbe Sonne, denselben Regen. Und der Apfelbaum machte Äpfel, und der Birnbaum, zehn Meter weiter, machte Birnen. Ganz normal, sagten die Menschen. Aber ich traute meinen Augen nicht. Was sie aus demselben Boden holten, derselben Luft, derselben Sonne und demselben Regen, daraus machte der eine Baum Birnen und der andere, zehn Meter weiter, Äpfel. Und die sind ganz verschieden in Form, Farbe, Geruch, Geschmack. So ein Wunder hatte ich noch nie gesehen.“
Und Albert Einstein hat seine Relativitätstheorie wie auch das Wunder im Leben mit folgendem Bild gezeichnet: „Wenn man zwei Stunden lang mit einem Mädchen zusammensitzt, meint man, es wäre eine Minute. Sitzt man jedoch eine Minute auf einem heißen Ofen, meint man, es wären zwei Stunden. Das ist Relativität.“
Und das Schönste, was wir erleben können, ist doch das Geheimnisvolle und Wundervolle. Dieses Leben steckt voller Wunder, ja unser Leben ist ein Wunder, vom Anfang bis zum Ende, aber auch schon davor und in alle Ewigkeit hinaus. Das sollte uns doch Beweis genug sein, dass es Gott ist, der zu uns spricht und anleitet. Oder etwa nicht?