Predigt von Pfr. Harald Kluge zu Epheser 4, 26-32

Jesus hat in seine engsten Vertrauten große Hoffnungen gesetzt. Dazu hat er ihnen Mut machen wollen, sie begeistern wollen. Das etwa lesen wir bei Matthäus 10,26:

„Fürchtet euch nicht vor denen, die euch bedrohen! Denn nichts bleibt für immer verborgen, sondern eines Tages kommt die Wahrheit ans Licht, und dann werden alle Geheimnisse enthüllt.“ 

Mit dem Johann Nepomuk Nestroy zugeschriebenen Zitat lässt sich das so zusammenfassen: „Zu Tode gefürchtet ist auch schon gestorben.“ Angesichts der heutigen Lage und Krisen ein passender Gedanke.

Schauen wir doch einmal: Was Jesus wirklich von uns erwartet, habt ihr gehört – ihr seid es ja gelehrt worden: Ihr sollt euer altes Leben wie alte Kleider ablegen. Folgt nicht mehr euren Leidenschaften, die euch in die Irre führen und euch zerstören. Lasst euch in eurem Denken verändern und euch innerlich ganz neu ausrichten. Zieht das neue Leben an, wie ihr neue Kleider anzieht. Ihr seid nun zu neuen Menschen geworden, die Gott selbst nach seinem Bild geschaffen hat. Jeder soll erkennen, dass ihr jetzt zu Gott gehört und so lebt, wie es ihm gefällt. Belügt einander also nicht länger, sondern sagt die Wahrheit. Wir sind doch als Christen die Glieder eines Leibes, der Gemeinde von Jesus. 

Wenn ihr zornig seid, dann ladet nicht Schuld auf euch, indem ihr unversöhnlich bleibt. Lasst die Sonne nicht untergehen, ohne dass ihr einander vergeben habt. Gebt dem Teufel keine Gelegenheit, Unfrieden zu stiften. 

Wer bisher von Diebstahl lebte, der soll sich jetzt eine ehrliche Arbeit suchen, damit er auch noch Notleidenden helfen kann. 

Redet nicht schlecht voneinander, sondern habt ein gutes Wort für jeden, der es braucht. Was ihr sagt, soll hilfreich und ermutigend sein, eine Wohltat für alle. 

Tut nichts, was den Heiligen Geist traurig macht. Als Gott ihn euch schenkte, hat er euch sein Siegel aufgedrückt. Er ist doch euer Bürge dafür, dass der Tag der Erlösung kommt. Mit Bitterkeit, Wutausbrüchen und Zorn sollt ihr nichts mehr zu tun haben.

Schreit einander nicht an, redet nicht schlecht über andere und vermeidet jede Feindseligkeit. Seid vielmehr freundlich und barmherzig und vergebt einander, so wie Gott euch durch Jesus Christus vergeben hat.

Epheser 4,21-32

Liebe Mitmenschen! Eigentlich braucht es nach dieser Textstelle keine Predigt mehr. Der gute Paulus, dem dieser Brief an die Christinnen und Christen in Ephesos zugeschrieben wird, fasst es knapp zusammen. Was Jesus von uns erwartet, sofern wir ihm folgen wollen, haben wir gelesen, gehört und empfinden wir doch oft so auch mit unserem Bauchgefühl. Oder etwa nicht? Wir wissen doch, oder ahnen, was richtig ist und was wir lieber lassen sollten. Oder etwa nicht?

Eine großartige Pfarrkollegin in den USA hat hier eine ganz aktuelle Antwort auf diese Frage provoziert. Mariann Edgar Budde, Bischöfin der Episcopal Diocese of Washington, aus der anglikanischen Tradition, hat nach ihrer Predigt im Zuge der Inauguration von Donald Trump als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika klare kritische Worte an diesen Mann und sein Gefolge gerichtet. Sie hat gesagt: “Im Namen unseres Gottes bitte ich Sie, haben Sie Erbarmen mit den Menschen in unserem Land, die jetzt Angst haben”. In Familien unterschiedlichster politischer Ausrichtungen gäbe es Kinder, die schwul, lesbisch oder transgeschlechtlich sind, und von denen einige um ihr Leben fürchten. Auch Immigranten würden sich nun fürchten vor dem, was da auf sie zukommt. Kinder haben Angst um ihre Eltern, die, wenn sie nicht in den USA geboren sind, womöglich von heute auf morgen, auch nachts, abgeholt werden und zuerst in ein Internierungslager und dann ins Ausland deportiert werden.

Die Bischöfin sagt weiters: “Die Menschen, die unsere Ernte einbringen und unsere Bürogebäude reinigen, die in Geflügelfarmen und Fleischverpackungsbetrieben arbeiten, die in Restaurants das Geschirr nach dem Essen abwaschen und in Krankenhäusern Nachtschichten übernehmen, sind vielleicht keine Staatsbürger oder haben keine Papiere. Aber die große Mehrheit der Einwanderer ist nicht kriminell. Sie zahlen Steuern und sind gute Nachbarn. Helfen Sie denjenigen in unseren Gemeinden, deren Kinder befürchten, dass ihnen ihre Eltern weggenommen werden. Ich bitte Sie, Erbarmen zu haben.“

Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber mich hat dieser Appell berührt. Und wenn ich daran denke, ich wäre ein Einwanderer und müsste erleben, wie gegen mich von Seiten der Politiker als Mensch Stimmung gemacht wird, wäre zu sagen, dass ich mich dann unwohl fühlen würde, noch untertrieben. Bischöfin Budde spricht nicht nur den Präsidenten an, sondern alle Anwesenden und damit auch alle, die ihre Worte hören. Und es sind nicht nur ihre Worte, sondern sie atmen den Geist der Bibel, sind erfüllt von jüdischem und christlichem Glauben. Die Reaktion des Angesprochenen war nur: Das war schlecht, Ihre Art war fies und ihre Aussagen unangemessen und sie sei eine Trump-Hasserin. Sie solle sich öffentlich vor allen in den USA entschuldigen. Für diese Leute sind die Briefe im Neuen Testament geschrieben worden. All jenen, denen ein innerer Kompass, ein gesunder Moralkodex, ein sittliches Empfinden für den Mitmenschen fehlen, gelten die klaren Aussagen, die wir im Bibeltext lesen.

„Wenn ihr zornig seid, dann ladet nicht Schuld auf euch, indem ihr unversöhnlich bleibt. Lasst die Sonne nicht untergehen, ohne dass ihr einander vergeben habt. Gebt dem Teufel keine Gelegenheit, Unfrieden zu stiften.“ 

Zorn und Wut sind brachiale Gefühle und gehören zu uns als Mensch dazu. Aber ebenso sehnen wir uns doch innerlich meist, nicht immer, nach einer Aussöhnung. Versöhnung statt Spaltung sind in Gottes Sinn. Wer will oder kann schon lange Zeit mit seiner Wut und seinem Zorn leben, gesund leben, so dass es ihm oder ihr nicht in die Quere kommt. Es ist doch ein grandioser einfacher Tipp: Vor dem Schlafengehen sich bewusst zu machen, was einen zornig werden lässt. Und dann einmal schauen, ob wir das mit der betreffenden Person besprechen und ausräumen können –

„Du Schatz, bevor wir schlafen gehen, wollte ich mit dir noch über dies oder jenes, was mich beschäftigt, sprechen.“

Oder an anderer Stelle rät die Bibel, sich den Auslöser des Ärgers bewusst zu machen und dann im Gebet oder mit anderen Mitteln diesen zu begraben, so wie ein Kriegsbeil, sich zu überlegen, wie der Grund des Ärgers am nächsten Tag ausgeräumt werden kann.

Wie leben wir christlichen Standards entsprechend?

„Redet nicht schlecht voneinander, sondern habt ein gutes Wort für jeden, der es braucht. Was ihr sagt, soll hilfreich und ermutigend sein, eine Wohltat für alle.“ 

Das allein ist schon eine Lebensaufgabe, aber eine schöne. Ich konnte es etwa nie leiden, wenn über andere geredet wurde. Und doch ertappe ich mich immer wieder dabei. Zumindest funktioniert der innere Kompass anscheinend noch und ich merke, wo ich in falsches Fahrwasser gerate.

„Tut nichts, was den Heiligen Geist traurig macht. Als Gott ihn euch schenkte, hat er euch sein Siegel aufgedrückt. Mit Bitterkeit, Wutausbrüchen und Zorn sollt ihr nichts mehr zu tun haben.“

Manchmal wird der Heilige Geist Gottes traurig. Und daran sollten wir denken, damit es nicht wieder geschieht.

Jetzt komm ich zu dem Foto, den beiden Fotos, auf der Rückseite des Sonntagsblattes.

[ANMERKUNG: aus Urheberrechtsfragen kann nur das untere Bild veröffentlicht werden. Der Text in der Predigt bezieht sich auf das kolorierte Foto und ein mit Artificial Intelligence bearbeitetes Bild.]

Es ist die Fotografie von Czeslawa Kwoka, 14 Jahre jung. Die Aufnahmen unterscheiden sich. Und so als kleine Frage an Sie: Denken Sie, die junge Dame rechts hat in dem Film über Czeslawa Kwoka, dann wie auf dem Foto rechts geschminkt, deren Rolle gespielt? Oder denken Sie, dass es das Foto links ist, auf dem die echte junge Frau Czeslawa im Konzentrationslager Auschwitz zu sehen ist, und links mit Artificial Intelligence ihr Aussehen ummodelliert worden ist?

(Czesława Kwoka: ein Opfer von Auschwitz, auf Gefangenenporträts. Fotografiert von Wilhelm Brasse, aufgenommen 1942 oder 1943, ausgestellt im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau. wikimedia)

Unsere Augen können uns schon gewaltig täuschen. Das Foto links wurde ursprünglich im KZ Auschwitz aufgenommen und existiert in schwarz-weiß. Einige todesmutige Lagerinsassen haben tausende Negative von Fotos der Häftlinge von Auschwitz versteckt. Wer es nicht weiß: In den Lagern des Komplexes rund um Auschwitz-Birkenau sind mehr als 1,1 Millionen Menschen ermordet worden, systematisch, organisiert, nach einem barbarischen durchgerechneten Plan.

Um das nicht zu vergessen und den 27.  Jänner 1945, also morgen vor 80 Jahren, zu feiern, wurde der Tag zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus so gelegt. Hunderttausende waren zu dieser Zeit noch auf den sogenannten „Todesmärschen“ unterwegs quer durch das Deutsche Reich und starben dabei. Also feiern wir am 27.1. die Befreiung dieses Lagerkomplexes Auschwitz-Birkenau. Wir denken an die Opfer, an die sinnlose und grauenvolle Vernichtung menschlichen Lebens.

Im Lager Auschwitz treffen die Soldaten der Roten Armee morgen vor 80 Jahren auf nur mehr 7.000 Insassen. Die Schwächsten und Gebrechlichsten hatte die deutsche Wehrmacht zurückgelassen. Erst Jahre später tauchen dann die Fotos, die versteckten Negative auf. Auf ihnen sind die Insassen, die Häftlinge zu sehen, von vorn, im Profil und auch in schräger Ansicht kurz nach ihrer Ankunft. Czeslawa Kwokas Foto berührt, spricht Bände, könnten wir sagen. Zwei ängstliche Augen durchbohren uns als Betrachter. Ihr Kopf ist brutal kahlgeschoren worden. Ihr wurde eine viel zu große blaugraue Jacke angezogen. Noch war nicht klar, wie lange sie noch zu leben hatte. Jahrzehntelang hingen Abzüge ihrer Schwarzweißaufnahme bei Ausstellungen in den Lagern, in Schulen, in Museen, an Orten, wo Menschen sich erinnern wollten. Unter dem Motto: Nie wieder! 

Erst in neuerer Zeit wurde das Foto koloriert. Um mehr Empathie zu erzeugen, wie die brasilianische Künstlerin 2017 meinte. So gesehen sind beide Bilder hier auf dem Sonntagsblatt fake, Fälschungen. Und nicht nur nach reformiertem Denken habe ich die Überzeugung, dass Bilder immer lügen. Kein Foto kann das Grauen der Konzentrationslager und Vernichtungslager abbilden oder vermitteln. Kein Foto kann die Schönheit und unverlierbare Würde eines Menschen einfangen. Kein Foto kann die Magie und den Zauber eines Sonnenaufgangs auffangen. Bilder helfen uns auf die Sprünge, wenn wir in der Gefahr sind, etwas zu vergessen. Sie helfen uns dabei, uns zu erinnern.

Jährlich am Internationalen Tag zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus wird dieses Bild nun auch in Farbe von Czesława Kwoka über die sozialen Medien geteilt, geliked, kommentiert. Das kolorierte Foto, die Fälschung, erreicht dabei viel mehr likes und es schauen sich mehr Menschen länger an. Und sie denken dann hoffentlich auch länger darüber nach. Manche stöbern womöglich in ihrer Biografie und erfahren: Czeslawa Kwoka wurde am 15. August 1928 in der Landgemeinde Nielisz in Polen geboren. Ihr Vater Paweł Kwoka starb, als sie noch ein kleines Mädchen war. Sie wird als 14jährige von deutschen Soldaten mit ihrer Mutter in ein Umsiedlungslager abtransportiert.  Zur „weiteren Verwendung“ werden sie in die vierte von vier rassischen Wertungsgruppen selektiert. In der nationalsozialistischen Ideologie galt sie damit als „kriminell“ oder „asozial“. Auch wegen ihrer Nationalität oder Religion wurden sie als „rassisch schlecht“ bezeichnet. Sofort nach ihrer Selektion kam Czeslawa ins Vernichtungslager Auschwitz. Dort hat sie dann der Lagerfotograf, ein polnischer Häftling namens Wilhelm Brasse, am 13. Dezember 1942 mit der Nummer 26947 fotografiert. In einem Dokumentarfilm „Der Porträtist“ erzählt Brasse über diese kurze Begegnung mit Czesława bei ihrer Registrierung.

„Ich erinnere mich an das Bild von diesem Mädchen, weil es noch so jung aussah. Das Mädchen. So entwaffnend, als Mädchen, als Gefangene, die ein Kopftuch trug. Sie sah noch gut aus, nicht abgemagert. Immer wieder wurden spezielle Nummern aufgerufen. Aber auf Deutsch. Und dieses Mädchen hat einfach nicht verstanden, was da vor sich ging und was zu ihr gesagt wurde.

Und dann hat diese Aufseherin… ich sah dies in mehreren Fällen… mit einem Stock zugeschlagen, sie ins Gesicht geschlagen…“

Er sagt auch, dass sie vor der Aufnahme versucht hat, sich die Tränen und das Blut vom Gesicht abzuwischen. Mit einer Mischung aus Stolz und Entsetzen hat sie dann in die Kamera geschaut, beziehungsweise hat sie ein wenig über das Objektiv geblickt. Vielleicht hat sie sich von irgendwoher Hilfe erwartet? Wilhelm Brasse bedauert bis an sein Lebensende im Jahr 2012, dass er ihr nicht irgendwie hat helfen können. Czesława Kwoka wurde nur 15 Jahre alt. Ein Lagerarzt hat sie am 12. März 1943 mit einer Phenolinjektion mitten ins Herz ermordet. Mich trifft so eine Lebensgeschichte mitten ins Herz. Und ob sie sich vor mehr als 80 Jahren zugetragen hat oder heute geschehen ist, spielt da keine Rolle.

Ich brauche da kein Bild, um Empathie zu fühlen. Die Geschichten hinter den Bildern der Vergangenheit werden immer genauer angeschaut und erforscht und präsentiert. Die Geschichte hinter den Gesichtern, auf die wir stoßen, kennen wir meistens anfangs auch nicht. Wir sehen, wie bei dem Foto von Czeslawa Kwoka und von den 100.000en anderen Opfern etwa in Auschwitz, vielleicht ein paar Wunden, die ihnen von anderen zugefügt worden sind. Da muss es so viel Angst, Trauer, Wut, Zorn gegeben haben. Und die Apathie, die Ohnmacht, die Zerrissenheit müssen unvorstellbar groß gewesen sein.

Manche fragen auch: Wie kann man nach Auschwitz noch dichten, singen, Lieder schreiben? Wo war da Gott? Wie lässt sich nach Auschwitz noch glauben an einen liebenden, fürsorglichen Gott, dem wir Menschen und die Tiere als seine Geschöpfe wichtig sind?

Die Wunden, die uns das Leben schlägt, bleiben meist unerkannt, wir können sie mit freiem Auge nicht sehen. Da braucht es das Gespräch und dabei das Interesse an den anderen Mitmenschen und ihren Schicksalen.  Und das vermisse ich. Davon erlebe ich so wenig. Dass jemand Interesse an anderen hat. Sie fragt und, wenn auch im Small Talk, erfahren will, wie es dem anderen gerade so geht, was mein Gegenüber so umtreibt.

„Schreit einander nicht an, redet nicht schlecht über andere und vermeidet jede Feindseligkeit. Seien wir doch freundlich und bereit zu verzeihen.“

Lasst uns aus dem WWW – worldwideweb – doch ein WWJW machen – was würde Jesus wollen? Wenn wir uns unsicher sind, lesen wir doch einfach nach – in der Bibel finden wir die Antworten.